Wohin man auch sieht, die Auswirkungen des Virus COVID-19 betreffen nahezu alle Arbeits- und Lebensbereiche. Und das weltweit. So zeigt auch der Blick nach Südostasien, welche existenziellen Bedrohungen die Verbreitung des Virus für die Arbeiter*innen der Bekleidungsindustrie mit sich bringt.
von Sofie Jokerst, SÜDWIND Institut
Auch wenn es in etlichen Ländern erst wenige nachgewiesene Fälle der Viruserkrankung gibt, sind dort bereits erste Fabrikschließungen zu beobachten. Gründe hierfür liegen zum einen in den Rohstoffengpässen aus China – es fehlt an Baumwolle und Gewebe. Besonders heftig trifft dies Myanmar, wo das Virus bis Mitte März noch nicht nachgewiesen war, aber viele Betriebe sehr stark auf Vorprodukte (Baumwolle, Gewebe) aus China angewiesen sind. Hinzu kommt ein spürbarer Rückgang nicht nur der chinesischen Nachfrage. Dies kann sich noch verstärken, wenn auch europäische Marken beginnen, ihre Produktionsaufträge zu reduzieren, denn zum Beispiel Deutschland ist nach Japan das wichtigste Zielland von Textil- und Bekleidungsexporten aus Myanmar (Angabe für 2018 ). Ein anderes Beispiel für die Auswirkungen von Corona ist Kambodscha: Berichten des dortigen Verbands der Bekleidungshersteller GMA (Garment Manufacturers Association) zufolge, gibt es bereits 30 Fabrikschließungen, die mehr als 20.000 Arbeiter*innen betreffen (siehe Link im ersten Absatz).
Dabei ist es wichtig, zu verstehen, was es für die Näher*innen konkret bedeutet, wenn ihre Fabrik die Produktion herunterfährt. Deren ohnehin oft schon prekäre Lebenssituation verschärft sich weiter! Viele Fabriken reagieren mit Entlassungen, wobei nicht in jedem Fall eine angemessene oder sogar gesetzlich verpflichtende Entschädigung gezahlt wird. In der Regel werden die Entlassenen auch nicht von staatlichen Sozialleistungen aufgefangen. Zwar hat die Regierung in Kambodscha angekündigt, die Betriebe finanziell dabei zu unterstützen, den suspendierten Arbeiter*innen weiter einen Anteil ihres Lohns auszuzahlen. Dabei gilt aber zu bedenken, dass die Arbeiter*innen angesichts sehr niedriger Löhne für die reguläre Arbeitszeit, nur mit regelmäßigen Überstunden annähernd einen existenzsichernden Lohn bekommen. Wie sie mit den angekündigten 60 % ihres vorherigen Einkommens sich und ihre Familie ernähren sollen, bleibt fraglich. Viele von ihnen hatten außerdem, bedingt durch die niedrigen Löhne, kaum die Möglichkeit, Rücklagen für solche Notsituationen zu bilden.
Erschwert wird die Situation dadurch, dass viele Arbeiter*innen an Krankheitstagen keinen Lohn erhalten. Dies zwingt sie dazu, auch mit Krankheitssymptomen zur Arbeit zu gehen, womit sie – sollte die Pandemie auch ihre Länder erfassen, sofern das noch nicht geschehen ist – ihre eigene Gesundheit und die der anderen Arbeiter*innen gefährden.
Für die Beschäftigten in Kambodscha kommt erschwerend hinzu, dass die EU dem Land ab Mitte des Jahres die Zollvorteile der „Everything but Arms“-Initiative entzogen hat. Ist die Corona-Krise in der 2. Jahreshälfte hoffentlich vorbei, ist völlig offen, ob Kambodscha an die Exportzahlen des letzten Jahres anknüpfen kann. Ein Fünftel der kambodschanischen Exporte in die EU müssen dann verzollt werden und werden teurer. Gegen diesen Wettbewerbsnachteil im Vergleich zum Beispiel zu Bangladesch, hat der GMA protestiert.
Unterstützung für Beschäftigte nötig!
Angesichts der schwieriger werdenden Lage der Beschäftigten in den asiatischen Textil- und Bekleidungsfabriken ist ein verantwortungsvolles Handeln der Zulieferer, aber auch der Auftraggeber von Bekleidung notwendig: Die internationale Kampagne für Saubere Kleidung (CCC – Clean Clothes Campaign) fordert Markenunternehmen und Bekleidungshändler auf sicherzustellen, dass Löhne an Krankheitstagen und in Zeiten von Freistellungen gezahlt werden. Schließungen sollten aus medizinisch notwendigen Gründen erfolgen – jedoch ohne Lohnkürzungen. Außerdem dürfen Maßnahmen zur Viruseindämmung nicht genutzt werden, um Freizügigkeit und Vereinigungsfreiheit der Beschäftigten unangemessen einzuschränken.
Die Globale Unternehmensinitiative zu Menschenrechten (GBIHR – Global Business Initiative on Human Rights) weist zusätzlich daraufhin, dass nach der Krise ein erhöhtes Risiko von Zwangsarbeit in Form erzwungener, extremer Überstunden besteht, um Verluste wieder aufzuholen.
Langfristig wird das Coronavirus aus Sicht der Wirtschaftswissenschaftlerin Dalia Marin dazu beitragen, dass Unternehmen ihre Produktion wieder stärker in den Heimatmarkt verlagern. Dieser Trend ist zwar bereits seit der Finanzkrise zu beobachten, wird aber, so vermutet die Forscherin, durch das Coronavirus weiter angetrieben. Grund dafür ist die steigende Unsicherheit im Welthandel – Unternehmen sehen zunehmend ein Risiko im Ausfall ihrer Lieferketten. Die Initiative Lieferkettengesetz mahnt, dass Unternehmen, die ihre Lieferketten aufgrund der Krise nun genauer in den Blick nehmen, nicht nur auf Geschäftsrisiken, sondern auch auf Menschenrechte und Umweltschutz schauen. Gerade in diesen herausfordernden Zeiten müssen alle in der Lieferkette involvierten Personen geschützt, Entlassungen und fehlende Lohnfortzahlungen verhindert werden.
Die Frauenrechtsvereinigung FEMNET e.V. formuliert ebenfalls einen klaren Appell an die Unternehmen der Bekleidungsbranche und ruft zu Solidarität mit den Näher*innen auf.