Die letzten Freitag veröffentlichten neuen Rechercheergebnisse über die italienische Schuh- und Bekleidungsindustrie zeigen, dass die Konkurrenz mit Osteuropa und Asien in Italien die Löhne drückt und die Arbeitsbedingungen verschlechtert.
Die Studie „Can you earn a living wage in fashion in Italy?“ [1] deckt auf, dass große Marken einschließlich Louis Vuitton, Armani, Prada und Dior alte Fabriken [2] zurückkaufen, die ehemals infolge der Konkurrenz mit billigeren Produktionsstätten in postsozialistischen Ländern Europas und der Türkei schließen mussten. Nur dass diese Fabriken jetzt selbst im Wettbewerb der Niedriglöhne und schlechten Arbeitsbedingungen mithalten müssen. Die Studie basiert auf Interviews, die 2013 mit Arbeiter_innen quer durch Italien geführt wurden. Anfangsgehälter von Fabrikarbeiter_innen in legalen Arbeitsverhältnissen erreichen gerade einmal 1200 Euro im Monat. In der Region um Venetien wurden Ungelernte angetroffen, die 730 Euro, und Heimarbeiter_innen, die nur 850 Euro verdienten. Gehälter weit unter einem Lohn zum Leben in Würde. [3]. Eine Familie in Norditalien bräuchte laut Berechnungen von Istat, dem italienisch nationalen Statistik Institut, mindestens 1600 Euro, um sich einen angemessenen Lebensstandard leisten zu können.
Es zeigte sich, dass als Antwort auf den Preiswettbewerb die Branche zunehmend illegal, im informellen Bereich operiert. Es wurden Unterauftragnehmer gefunden, die Arbeiter_innen zu Niedrigstlöhnen anheuerten, wo sie exzessiv Überstunden zu leisten hatten, wenn sie den Arbeitsplatz behalten wollten. Auch Tagelöhner fanden die Forscher_innen.
„Die Chinesen produzieren zu Endpreisen, die für andere Unternehmer_innen hier nicht annähernd kostendeckend sind. Viele kleinere Besitzer_innen haben ihre Produktionsstätten schließen müssen”, gab ein Arbeiter an. Ein Auditor, der einen chinesischen Unterauftragnehmer besuchte, beschrieb die Bedingungen so: „Sie haben vielleicht einen Feuerlöscher, aber der ist leer … 15 Leute sollen in einem normalen Wohnraum schlafen. Der Platz reicht für eine Küche und einen Gasbehälter. Die Räume haben keine Fenster. Die Treppen, die nach unten in die Produktionsräume führen, sind zugestellt mit Warenkartons.”
„Der globale Wettbewerb um immer schlechtere Bedingungen („race to the bottom“) kehrt nach Italien zurück als zunehmend prekäre, ungeschützte und flexibilisierte Arbeitsverhältnisse [4]”, so Francesco Gesualdi, Autor der Studie. „Dass große Marken zurück nach Italien kommen, ist sicher gut für die Jobs, aber es ist eine Katastrophe, wenn auch Armutslöhne, fehlende Gewerkschaften, Jobunsicherheit und schlechter Arbeitsschutz, wie sie typischerweise in bangladeschischen oder moldawischen Fabriken vorzufinden sind, auch nach Italien kommen.”
Die Studie empfiehlt, dass das Recht auf ein existenzsicherndes Arbeitseinkommen innerhalb Europas festgeschrieben wird mit Richtwerten, wie sie von der Allianz Asia Floor Wage für Asien sowie von der Clean Clothes Campaign für postsozialistische Länder und die Türkei [5] berechnet wurden.
Die Studie betont dabei, dass EU-Institutionen ihre Interventionsstrategien im Hinblick auf Löhne entsprechend den Bestimmungen im Vertrag von Lissabon und den UN Leitsätzen für Wirtschaft und Menschenrechte [6] ändern sollten. So seien Verhandlungen über TTIP zu stoppen, weil dieses Abkommen weitere negative Folgen für Arbeiterrechte bedeute.
Am vergangenen Freitag fand eine Sitzung der EU statt, um eine EU Flagship Initiative zur Bekleidungsindustrie zu starten. Die Clean Clothes Campaign sich dabei für ernstgemeinte gesetzliche Maßnahme einsetzen, wodurch die Modebranche außerhalb und innerhalb Europas [7] menschenwürdig gestaltbar wird.
Anmerkungen:
[1] www.cleanclothes.org/resources/publications/italian-living-wage-report/
[2] Die Forscher_innen geben Beispiele wie Prada, die die Produktionsstätten von Giorgio Moretto kauften. Louis Vuitton übernahm zwei und eröffnete eine neue Fabrik in Fiesso d’Artico, wo 360 Menschen arbeiten einschließlich ein paar Konstrukteuren und Designern, die Muster und Design für Luxusschuhe von Louis Vuitton erstellen. Diese bezeichnet Louis Vuitton am liebsten als “Kunsthandwerker”, um allem einen glanzvolleren Schein zu geben.
[3] Arbeiter_innen berichteten von den Opfern, die sie aufgrund von niedrigen Löhnen erbringen mussten, um sicherzustellen, dass ihre Familie den Monat übersteht. Urlaub, Ausgaben für kulturelle Aktivitäten sowie medizinische Untersuchungen und Behandlungen wurden laut dieser Berichte am häufigsten geopfert.
[4] Jüngste gesetzliche Reformen des Arbeitsmarkts in Italien, wie das Arbeitsgesetz I, jetzt Gesetz Nr. 78 des 16. Mai 2014, und das Arbeitsgesetz II, Gesetz Nr. 183 erlassen am 3. Dezember 2014, haben systematisch Arbeiterrechte und soziale Sicherheit abgebaut.
[5] http://www.cleanclothes.org/livingwage/asia-floor-wage-by-country / www.cleanclothes.org/livingwage/stitched-up / Studie Im Stich gelassen
[6] http://www.ohchr.org/Documents/Publications/GuidingPrinciplesBusinessHR_EN.pdf
[7] http://www.cleanclothes.org/img/pdf/ccc-contribution-flagship-initiative/
Ansprechpersonen:
Francesco Gesualdi, coord@cnms.it , +39.328.1630314
Bettina Musiolek, Entwicklungspolitisches Netzwerk Sachsen e.V. ENS, 0178 877 32 98,
bettina.musiolek@einewelt-sachsen.de
Mehr Information finden Sie hier:
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Die europäische Clean Clothes Campaign (CCC) / Kampagne für Saubere Kleidung arbeitet gemeinsam mit mehr als 200 Partnerorganisationen weltweit an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und unterstützt ArbeiterInnen in der globalen Bekleidungsindustrie. In 17 europäischen Ländern gibt es nationale Plattformen der Clean Clothes Campaign. ENS trägt die CCC in Deutschland mit.