Textilfabrik Indien Nicht nur ein Glied in der Kette. Kampagne für Saubere Kleidung | Clean Clothes Campaign Germany

Nicht nur ein Glied in der Kette.

Die Arbeitsbedingungen der indischen Textilarbeiter*innen sind sehr schlecht. Doch es gibt auch Widerstand.

Es sind vor allem Frauen, die in den Textilfabriken und Spinnereien Südindiens schuften und denen wichtige Rechte vorenthalten werden. Wenn sie sich in Gewerkschaften organisieren, müssen sie mit Repressalien rechnen. Auch Schuldknechtschaft ist verbreitet. Das gilt vor allem für die „glücklichen Bräute“ von Tirupur.

Immer wieder wird über schlechte Arbeitsbedingungen und Zwangsarbeit im südasiatischen Textilsektor berichtet, wie zum Beispiel unter dem Sumangali-System, das im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu verbreitet ist. Dabei werden unverheiratete junge Frauen im Alter von 14 bis 18 Jahren vom Land in die Textilfabriken und Spinnereien von Tirupur, dem wichtigsten Zentrum der Baumwollverarbeitung in Indien, gelockt.

Den Frauen wird versprochen, dass sie am Ende ihres Arbeitsvertrags nach zwei oder drei Jahren eine Prämie von umgerechnet 1.500 bis 2.500 Euro ausbezahlt bekommen, die sie für ihre Mitgift verwenden können (Sumangali bedeutet „glückliche Braut“ auf Tamil). Während dieser Zeit bekommen die jungen Frauen lediglich einen mickrigen Tageslohn und dürfen oft die Fabrik oder Spinnerei nicht verlassen. Sie werden in sogenannten Hostels auf dem Fabrikgelände untergebracht, in denen sie zusammengepfercht mit mehreren anderen Frauen ein Zimmer teilen müssen. Sie klagen über nährstoffarmes Essen und darüber, dass sie kaum Kontakt zu ihren Familien haben, da sie die Hostels nicht verlassen dürfen und Telefongespräche nur im Beisein des Sicherheitspersonals führen könne.

Vielen von ihnen wird kurz vor dem Ablauf ihrer Arbeitszeit aus fadenscheinigen Gründen gekündigt, sodass sie leer ausgehen und zwei oder sogar drei Jahre umsonst geschuftet haben. Nach mehreren Berichten von Menschenrechtsorganisationen werben die Spinnereien und Fabriken nun nicht mehr mit dem Sumangali-System, die Arbeitsbedingungen für die jungen Frauen haben sich allerdings kaum verbessert.

Unbezahlte Überstunden in Bangalore

In Bangalore im benachbarten Bundesstaat Karnataka, auch als indisches Silicon Valley bekannt, ist die Textilindustrie von großer Bedeutung. In über 1.000 Fabriken arbeiten dort rund eine halbe Million meist weibliche Beschäftigte. Viele dieser Fabriken beliefern internationale Markenunternehmen in Europa und den USA. Auch in Bangalore gehören ein unrealistisch hoch angesetztes Produktionssoll und dadurch verursachte unbezahlte Überstunden und hoher Arbeitsdruck zum Alltag.

Arbeiterinnen klagen über den Stress, dem sie wegen des hohen Produktionssolls ausgesetzt sind. Schon beim kleinsten Fehler werden sie beschimpft und ihre Arbeit in Frage gestellt. Manchmal wirft ihnen der Vorarbeiter Textilfetzen ins Gesicht. Sie klagen aber auch über körperliche Leiden wie Asthma, das durch das Einatmen des feinen Textilstaubs versursacht wird, Krampfadern vom ständigen Stehen oder Sitzen und Harnwegserkrankungen. Um nicht so oft Toilettenpausen einlegen zu müssen und so ihr Produktionssoll schneller zu erreichen, trinken viele Arbeiterinnen zu wenig.

Immer mehr junge unverheiratete Arbeiterinnen aus Nord- und Ostindien kommen auf der Suche nach Arbeit nach Bangalore. Viele von ihnen werden nach Bangalore vermittelt. Dies bedeutet, dass sie an ihrem Heimatsort ein kurzes Berufstraining bekommen und dann mit dem Versprechen als Näherin angestellt zu werden nach Südindien reisen.

Dort werden sie jedoch oft nur als Helferinnen der niedrigsten bezahlten Kategorie angestellt und in Hostels untergebracht. Auch wenn diese sich meist nicht auf dem Fabrikgelände befinden, sind sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, da die Hostels von Sicherheitskräften bewacht werden und die jungen Frauen die Aufseherin um Erlaubnis bitten müssen, wenn sie alleine oder in Kleingruppen ihr Hostel verlassen wollen. Häufig dürfen die jungen Frauen ihr Hostel nur am Sonntag, dem einzigen freien Tag in ihrer Sechs-Tage-Arbeitswoche, für ein paar Stunden und manchmal sogar nur in Begleitung verlassen, um ein paar persönliche Einkäufe zu machen.

Für den Vorsitzenden der Arbeitsrechtsorganisation Cividep, Gopinath K Parakuni, sind die niedrigen Löhne „ein Hauptproblem in der Textilindustrie in Bangalore, denn sie führen in einen Teufelskreis aus Armut, aus dem die Arbeiterinnen nicht mehr herauskommen. Die Unternehmen müssen dringend die Löhne anheben und einen Lohn zahlen der zum Leben ausreicht. Der derzeitige Mindestlohn von knapp 100 Euro reicht nicht aus um ein Leben in Würde zu führen“.

Eine Gewerkschaft, die von Frauen geleitet wird

Arbeiterinnen, die sich einer Gewerkschaft wie der Garment Labour Union (GLU) anschließen, sind Diskriminierungen ausgesetzt. Auch deshalb gehören von den 500.000 Beschäftigten im Textilsektor in Bangalore weniger als fünf Prozent einer Gewerkschaft an. Fabrikgewerkschaften gibt es so gut wie gar keine, und unabhängige Gewerkschaften wie GLU haben es schwer Mitglieder zu werben, da sie zu den Fabriken keinen Zugang bekommen.

Die Gewerkschaften erreichen die Arbeiterinnen häufig nur über Trainings- und Beratungsangebote, die sie an Sonn- und Feiertagen anbieten. Dazu laden sie auch Experten zu Themen wie gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung ein. Die Frauen aus anderen Regionen Indiens kennen ihre Rechte häufig auch deshalb nicht, weil sie keine der in Bangalore verbreiteten Sprachen sprechen. Die GLU versucht, gerade auch diese Frauen zu erreichen und ihnen Informationen zugänglich zu machen.

In den Fabriken werden Mitglieder der GLU oft von anderen Arbeiterinnen isoliert oder an einen anderen Arbeitsplatz versetzt. Arbeiterinnen, die ihre Rechte einfordern, werden massiv unter Druck gesetzt, müssen sich zur Strafe in die Ecke stellen oder stundenlang ohne Arbeit im Büro des Personalmanagers sitzen.

Die Garment Labour Union ist die einzige ausschließlich von Frauen geführte Gewerkschaft in Bangalore. Alle Gewerkschafterinnen waren früher selbst Textilarbeiterinnen und kennen daher die Sorgen und Bedürfnisse ihrer Mitglieder aus erster Hand. Eine der Gründerinnen der GLU wurde von ihrem Arbeitgeber von der Arbeit freigestellt und erhält nach wie vor ihren Basislohn. Die Fabrik zahlt ihr lieber ihr Gehalt weiter, als eine kritische Stimme unter den Arbeiterinnen zu dulden.

Für die GLU-Vorsitzende Rukmini ist der hohe Produktionssoll, den die Arbeiterinnen erreichen sollen, das Schlimmste: „Heutzutage sind es zwischen 100 und 150 Stück pro Stunde (eine Arbeiterin näht nicht das ganze Hemd, sondern die Produktion ist in Teile aufgeteilt, wie Ärmel, Kragen; Anm. der Red.), dabei verdienen sie nur den zu geringen Mindestlohn, der kaum für Miete, Schulgeld und anderes ausreicht. Die Arbeiterinnen können sich keine gesunden Lebensmittel leisten und viele leiden unter Nährstoffmangel.“

Ein weiteres Problem im Textilsektor ist die sexuelle Belästigung durch Kollegen oder Vorarbeiter. Auch wenn es schwierig ist, genaue Informationen zu diesem hochsensiblen Thema zu bekommen, haben einige Textilarbeiterinnen von unerwünschten Berührungen oder Kontaktaufnahme berichtet. Seit 2013 gibt es in Indien mit dem Sexual Harassment of Women at Workplace Act ein Gesetz, das Arbeiterinnen vor solchen Übergriffen schützen soll und ein Komitee vorsieht, dass sich mit solchen Beschwerden auseinandersetzt. Kommt ein Arbeitgeber diesem Gesetz nicht nach, droht ihm eine Strafe von umgerechnet 700 Euro. Auch an Kinderbetreuungsmöglichkeiten mangelt es in den Fabriken. Obwohl laut Gesetz jede Fabrik mit mehr als 30 Arbeiterinnen eine Kinderkrippe zur Verfügung stellen muss, ist dies in den meisten Fabriken in Bangalore nicht der Fall.

Die 2014 von der Regierung Indiens ausgerufene Initiative „Make in India“, die vor allem Auslandsinvestitionen anlocken und Indien zu einem attraktiven Produktionsstandort machen soll, täte gut daran, diese Investitionen an die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu koppeln. Denn einige internationale Unternehmen haben die unternehmerische Sorgfaltspflicht mittlerweile anerkannt und wissen, dass sie Menschenrechte nicht nur im eigenen Land, sondern entlang der gesamten Lieferkette schützen müssen.

Indische Gewerkschaften haben am 2. September 2016 einen Streik ausgerufen, um gegen die angekündigte Reform des indischen Arbeitsrechts zu protestieren. Diese wird die Gewerkschaftsbildung erschweren und sieht vor, dass Arbeitgeber mit weniger als 300 Mitarbeiter*innen keine staatliche Erlaubnis mehr für Entlassungen und Fabrikschließungen brauchen.

Eine Kampagne für mehr Transparenz

Lokale Gewerkschaften, wie GLU sind auch auf die Unterstützung von kritischen Konsument*innen in Europa angewiesen. Als ersten Schritt müssen diese mehr Transparenz von den Markenunternehmen einfordern. Transparenz führt zwar nicht automatisch zu besseren Arbeitsbedingungen, aber sie gibt den Textilarbeiterinnen Informationen darüber, für welches Unternehmen sie produzieren und bei wem sie sich bei Arbeitsrechtsverletzungen beschweren können. Transparenz hilft aber auch Konsument*innen, schneller auf Verstöße aufmerksam zu werden und das betreffende Unternehmen unter Druck setzen zu können, die Arbeitsbedingungen in seiner Lieferkette zu verbessern.

Laura Ceresna-Chaturvedi hat von 2010 bis 2016 bei der Arbeitsrechtsorganisation Cividep in Bangalore zu Arbeitsrechten in der Textil- und Elektronikindustrie gearbeitet. Seit Juli 2016 koordiniert sie die Eilaktionen der Kampagne für Saubere Kleidung und setzt sich auch dort für die Arbeitsrechte von Textilarbeiter*innen in Produktionsländern ein.

Der Artikel ist im INKOTA Magazin Südlink 180 erschienen.

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