Die Situation der Textilarbeiter*innen in Bangladesch und Indien bleibt angespannt. Trotz steigender Infektionszahlen und einem nationalen Lockdown bleiben die Fabriken in Bangladesch offen. Indische Fabriken dürfen wieder mit voller Belegschaft produzieren, wenn sie alle Arbeiter*innen innerhalb eines Monats impfen. Die Kosten dafür müssen nun teilweise von den Arbeiter*innen getragen werden.
Während die Infektionszahlen in Indien kontinuierlich zurückgehen, spitzt sich die Lage in Bangladesch weiterhin zu. Seit dem 1. Juli herrscht ein strikter Lockdown für das gesamte Land, der es den Menschen nur noch in akuten Notfällen und für Einkäufe erlaubt, das Haus zu verlassen. Unsere Partner*innen vor Ort berichten von verschärfter Polizeipräsenz und Militärpatrouillen, die die Restriktionen unter Androhungen von Haftstrafen und Geldbußen vehement durchsetzen.
Dennoch bleiben Textilfabriken als einzige Ausnahme weiterhin geöffnet: Trotz rasanter Ausbreitung der Delta-Variante und einer kaum vorhandenen Impfquote (2,6 %) konnte sich der Wirtschaftsverband BGMEA (Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association) erneut gegen Entscheide der Regierung durchsetzen und die Produktion aufrecht erhalten. Die Fabrikbesitzer*innen befürchten ein Abwandern der Aufträge in andere Länder, wenn durch eine Pause der Produktion Verzögerungen in den Lieferungen entstehen. Während Büros, Geschäfte und sämtliche staatliche Einrichtungen geschlossen sind, laufen die Nähmaschinen somit ungehindert weiter. Selbst der gesamte Personennahverkehr wurde eingestellt, um die Menschen zu schützen – was die Textilarbeiter*innen jedoch vor große Schwierigkeiten stellt. Ohne Transportmöglichkeiten zur Fabrik wissen viele von ihnen nicht, wie sie ihren Arbeitsplatz erreichen sollen. Die große Mehrheit wohnt zu weit entfernt, um laufen zu können. Die Fahrt mit Rikschas können sich nur die wenigsten leisten, weil es mehr als doppelt so teuer ist. Die Straßen Dhakas füllen sich daher – entgegen den eigentlichen Plänen – trotzdem mit Menschen, die für die Öffnung des Nahverkehrs demonstrieren und Transportmöglichkeiten von den Fabriken einfordern.
„We need to understand that very little workers live around factory premises, and public transport is the only vehicle they can afford to reach their workplace from the distant destination. Now workers are either walking long distances, or sharing available transports, or simply paying much more than usual. In addition, workers are not on the priority list for the vaccination programme. As a result, we have put the workers not only in suffering, but also in danger.“, schreiben unsere Partner*innen von BILS (Bangladesh Institute of Labour Studies).
Auch wenn die fortlaufende Produktion weniger Lohnausfälle bedeutet, wird die Gesundheit der Textilarbeiter*innen damit leichtfertig in Gefahr gebracht. Wenig Distanzmöglichkeiten innerhalb der Fabriken, unzureichend umgesetzte Maßnahmen, fehlende Schutzartikel und mangelnde Hygienevorkehrungen stellen eine akute Gefährdung für sie dar. Bereits jetzt sind insbesondere die Krankenhäuser in den angrenzenden Regionen zu Indien überlastet, auch hier werden Betten, Beatmungsgeräte und Sauerstoff knapp.
Doch auch in Indien bleibt die Zukunft ungewiss. Trotz sinkender Zahlen wächst die Sorge vor einer dritten Welle durch weitere Varianten des Coronavirus. Wie in Bangladesch kommt die Impfkampagne auch hier nur langsam in Gang, die medizinische Versorgung ist weiterhin stark begrenzt. Trotzdem werden momentan Lockerungen veranlasst und selbst die Textilfabriken, deren Öffnung erst für September vorgesehen war, dürfen ab sofort wieder mit voller Belegschaft produzieren – unter der Voraussetzung, dass alle Arbeiter*innen innerhalb von vier Wochen geimpft werden können.
Was zunächst nach einer guten Nachricht klingt, hat jedoch einen Haken, der vor allem die Arbeiter*innen betrifft. Aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit müssen die Impfdosen über private Krankenhäuser eingekauft werden, pro Impfung werden 1000 Rupien berechnet. Die Fabriken wollen jedoch maximal die Hälfte der Kosten übernehmen, weshalb sie bereits dazu übergegangen sind, die andere Hälfte vom Gehalt der Arbeiter*innen abzuziehen. Dies entspricht in etwa anderthalb Arbeitstagen einer Näherin – und verstößt nebenher gegen das Gesetz des Payment of Wages Act 1936.
Unsere Partnerorganisation SAVE aus Tirupur (Indien) unterstützt derzeit vor allem Arbeiter*innen, die aufgrund einer COVID-19 Erkrankung nicht arbeiten können und keinen Lohn bekommen. Zu diesen gehört auch die 26-jährige Sangeetha, die SAVE um Unterstützung bat und Essensrationen für sich und ihre Eltern erhielt. Auch der 15-jährige Manikandan und seine Eltern, die beide in der Textilindustrie arbeiten, erkrankten an COVID-19. Alle drei mussten ins Krankenhaus. Als der Junge als erstes entlassen wurde, hatte er keine Möglichkeit, Essen zu kaufen und meldete sich bei SAVE.