zerstörtes Haus

Türkei nach dem Erdbeben: Arbeiter*innen brauchen sichere Löhne und sichere Fabriken

Die verheerenden Erdbeben im Februar 2023 trafen eine Region, in der ein Großteil der türkischen Textil- und Bekleidungsproduktion angesiedelt ist. Tausende von Arbeiter*innen haben Angehörige und ihr Zuhause verloren. Nun droht ihnen noch der Verlust des Arbeitsplatzes. Internationale Marken und die Fabrikleitungen vor Ort müssen ihrer Verantwortung gerecht werden.

Lohnzahlungen

Ein weißes Auto steht vor zusammengestürzten Gebäuden.Viele Fabriken mussten die Produktion stoppen, weil es für die Arbeiter*innen auf den zerstörten Straßen kein Durchkommen gab. Wer nicht arbeiten kann, erhält derzeit vom Staat pro Tag 133 TL (ca. 6,40 Euro). Der Betrag reicht bei weitem nicht aus, um eine Person zu ernähren, geschweige denn eine Familie.

Sicherheit

Einige Fabriken ließen schon wenige Tage nach den Erdbeben die Produktion wieder anlaufen, getrieben von der Furcht vor finanziellen Strafen seitens der Marken, wenn sich die Auftragslieferungen verspäten. Es gibt Berichte darüber, dass Arbeiter*innen verboten wurde, während der zahlreichen Nachbeben die Fabrik zu verlassen.

#PayYourWorkers: Das Unrecht aus der Corona-Pandemie darf sich nicht wiederholen

Obwohl Verzögerungen von Lieferungen eine unvermeidliche Folge der Erdbeben sind, befürchten Gewerkschaften und Arbeitsrechtsaktivist*innen, dass einige Markenhersteller sich nun weigern werden, ihre Lieferanten zu bezahlen. Auch Fabrikbesitzende scheinen sich darauf ein. Schon jetzt nutzen einige das Chaos nach dem Beben als Vorwand, um die Risiken von möglichen Strafen oder Auftragsabwanderungen auf ihre Arbeiter*innen abzuwälzen. Im März protestierten deshalb die Arbeiter*innen der Marbit Tekstil-Fabrik in Adana, die für Zara und LC Waikiki produziert. Sie waren erst entlassen und dann gezwungen worden, eine Abfindung zu akzeptieren, die weit unter dem liegt, was ihnen gesetzlich zusteht.

Solche Verletzungen der Arbeitsrechte sind aus der Zeit der Pandemie bekannt. Damals mussten zahlreiche Fabriken schließen. Tausenden von Arbeiter*innen wurden die ihnen gesetzlich zustehenden Abfindungen verweigert. Die Verantwortungslosigkeit der internationalen Marken führte zur Gründung der Pay Your Workers-Koalition. Mittlerweile gehören ihr weltweit mehr als 280 Gewerkschaften und Arbeitsrechtsorganisationen an. Sie fordern die Unternehmen auf, ein verbindliches Abkommen zu unterzeichnen und in einen Abfindungsgarantiefonds einzuzahlen.

Unsere Forderungen

Über 70 internationale Marken beziehen ihre Waren aus der betroffenen Region. Dazu gehören u. a. Benetton, Esprit, Inditex (Zara), Mango, Marks & Spencer und Primark. Wir erwarten von den Unternehmen

  1. dass sie sicherstellen, dass entlassene Arbeiter*innen die volle Abfindung erhalten. Die Marken haben die Macht und die finanziellen Mittel, dafür zu sorgen, dass ihre Zulieferer Abfindungen zahlen.
  2. dass sie Lohnfortzahlungen sicherstellen. Marken sollten gewährleisten, dass Lieferanten ihre Arbeiter*innen nicht entlassen, selbst wenn sie derzeit nicht produzieren können. Zudem sollten sie dafür sorgen, dass die Arbeiter*innen sechs Monate lang die vollen Löhne erhalten (zusätzlich zu den geringen staatlichen Zahlungen).
  3. dass sie pünktlich und vollständig ihre Aufträge bezahlen und Verzögerungen ohne Strafe akzeptieren. Die Markenhersteller dürfen die Arbeiter*innen und Zulieferer in der Türkei, nicht dazu zwingen, die finanzielle Last der Krise allein zu tragen. Zwar sind Verträge in der Regel im Interesse der internationalen Marken ausgelegt. Doch Marken haben die Wahl: Sie können Gewinneinbußen leicht auffangen und daher ihrer Verantwortung gerecht werden. Oder sie können das Risiko in der Lieferkette auf diejenigen abzuwälzen, die am stärksten von einer Krise betroffen sind.
  4. dass sie gemeinsam mit den Zulieferern entlassene Arbeiter*innen bei der Zahlung der Mieten unterstützen und dafür sorgen, dass verletzte Arbeiter*innen und Hinterbliebene eine Entschädigung erhalten.
  5. dass Fabriken erst dann wieder die Produktion aufnehmen, wenn eine technische Inspektion die Sicherheit garantiert hat. Bei Mängeln sollten die Markenhersteller die Sanierung des Gebäudes finanziell unterstützen.
  6. ihren Einfluss auf Zulieferer und Regierung nutzen, um die Diskriminierung syrischer Geflüchteter in der Region zu bekämpfen. So prekär die Situation für alle Beschäftigten derzeit ist, für die syrischen Arbeiter*innen in der Bekleidungs- und Textilindustrie ist sie besonders prekär. Häufig informell beschäftigt, sind sie einem erhöhten Risiko ausgesetzt, ihre Existensgrundlage zu verlieren, rassistisch diskriminiert oder abgeschoben zu werden, wenn sie für ihre Rechte eintreten.

Weitere Informationen

  • Open Supply Hub hat eine Karte der Fabriken in dem betroffenen Gebiet veröffentlicht
  • Business & Human Rights Resource Centre (BHRRC) sammelt Nachrichten über die Auswirkungen des Erdbebens auf Bekleidungs- und Textilarbeiter*innen
  • Diese Erklärung wurde auf Türkisch von Temiz Giysi Kampanyasi, der türkischen CCC, veröffentlicht
  • Internationale Website der Pay Your Workers Koalition 

 

Beitragsbild: Szenen aus Hatay, einer Provinz im Erdbebengebiet mit einer bedeutenden Bekleidungsproduktion. ©Hilmi Hacaloğlu/VoA, ©Vivien Tauchmann
#PayYourWorkers, Inditex – Zara, Türkei

Ähnliche Beiträge