Von Bjarne Behrens, Jiska Gojowczyk und Flora Tito
Was genau bedeutet ein „gerechter Wandel“ (englisch: just transition) in der Modeindustrie? Warum ist er nötig? Wie kann er aussehen? Hat der Wandel schon angefangen und wenn nicht, wird er es jemals?
Fast 10 Jahre ist es her, dass die Sustainable Development Goals (kurz SDGs, also die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen) verabschiedet wurden. Bis 2030 sollen demnach neben ambitionierten Klima- und Biodiversitätszielen auch menschenwürdige Arbeit, nachhaltiger Konsum und Produktion, keine Armut sowie Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden – viel Zeit bleibt nicht mehr. Dass der Modesektor in vielen dieser Bereiche noch weit von den genannten Zielen entfernt ist, hat SÜDWIND in vielen Studien ausführlich belegt.
In den letzten Dekaden entwickelte sich die Modeindustrie zum wohl bekanntesten Beispiel für die ausbeuterischen Ausprägungen globalisierter Produktion. Alljährlich richten sich die Blicke konzentriert zum Jahrestag der Katstrophe Rana Plaza auf die Entwicklungen in der Industrie, die wohl weit mehr Bemühungen und Initiativen für Veränderungen (siehe etwa hier) als tatsächliche Erfolge kennt (aber z. B. hier).
Modeindustrie: Haupttreiberin von Klimakrise und Biodiversitätsverlust
So sind Löhne viel zu gering, um existenzsichernd zu sein. Beschäftigte werden vielerorts ihrer Rechte beraubt: Sie werden aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert, erfahren Gewalt am Arbeitsplatz. Ihre Gesundheit wird nicht ausreichend geschützt, Überstunden werden erzwungen. Ihr Recht, sich zu organisieren, Gewerkschaften zu gründen und im Kollektiv zu verhandeln, wird oft nicht gewährt. Arbeitskämpfe sind gefährlich und – viel zu oft – nicht erfolgreich genug. Bisher ist der große Wandel hin zu einer „Industrie, die wir wollen“ ausgeblieben.
Gleichzeitig gehört die Modeindustrie zu den Haupttreiberinnen von Klimakrise und Biodiversitätsverlust. Der nächste Blogbeitrag in dieser Reihe wird aufzeigen, in welcher Weise Beschäftigte der Industrie schon heute von Folgen der Klimakrise betroffen sind.
Wie sieht ein gerechter Textilsektor aus?
Im Zuge von Diskussionen dazu, wie Treibhausgasemissionen im globalen Wirtschaften gemindert werden können, wird oft ein „gerechter Wandel“ beschworen. Dennoch gibt es bislang kaum Debatten darüber, wie ein solcher umfassender Umbau der Modeindustrie angestoßen und tatsächlich gerecht gestaltet werden kann. Gemeinsam mit vielen Akteuren, die in der transnationalen Kampagne für Saubere Kleidung organisiert sind, wird SÜDWIND in den kommenden Jahren daran arbeiten:
Wie sieht ein gerechter Textilsektor aus? Was muss passieren, damit er Wirklichkeit wird?
Wir denken: Für einen „gerechten Wandel“ spielen die Einhaltung grundlegender Menschen- und Arbeitsrechte sowie Verteilungsgerechtigkeit und Prozessgerechtigkeit eine entscheidende Rolle. Wie soll die Wertschöpfung global verteilt sein? Wer produziert für wen? Wie verteilen sich der Verbrauch von Ressourcen wie Wasser, Landnutzung und Rohstoffen global, wie die Entsorgung und Inanspruchnahme natürlicher Senken? Wer entscheidet über Produktion und Konsum?
Wie können angesichts ungleicher Verteilung von Ressourcen und den damit einhergehenden ungleichen Zugängen zu politischen Entscheidungsträger*innen alle Akteur*innen gleichberechtigt eingebunden werden? Über wen wird gesprochen, wer spricht mit? Wie kann sichergestellt werden, dass die Arbeiter*innen nicht nur gehört, sondern die Perspektiven der am meisten Betroffenen im Mittelpunkt stehen? Was muss ganz konkret in Deutschland geschehen?
Zusammen mit unseren Kolleginnen anderer Organisationen in Produktions- und Konsumländern wollen wir diese Fragen gemeinsam bearbeiten. Als Teil des deutschen und internationalen Netzwerks der Kampagne für Saubere Kleidung werden wir die Perspektive der Arbeiter*innen stärken, den Blick auf versteckte Ungerechtigkeit lenken, politische Handlungsempfehlungen erarbeiten und gemeinsam zu nachhaltigeren und gerechteren Wirtschaftsbeziehungen beitragen.
Beitragsbild: © rijans / Flickr