Eine Frau beugt sich über Stoffe. Im Hintergrund ist eine Fabrik zu sehen.

Wie Unternehmen im Textilbündnis mit dem Risiko der Zwangsarbeit umgehen

Die Berufung auf Standards greift zu kurz. Wie Unternehmen im Textilbündnis mit dem Risiko der Zwangsarbeit umgehen

von Sabine Ferenschild, Südwind-Institut

2023 war es wieder so weit: Die Mitgliedsunternehmen des Textilbündnisses haben ihre Berichte dazu veröffentlicht, was sie in den letzten zwei Jahren zur Verbesserung sozialer und ökologischer Risiken in ihrer jeweiligen Lieferkette getan haben und was sie sich für die nächsten zwei Jahre vornehmen. Ein Blick in die Berichte zeigt: Viel zu oft berufen sich die Unternehmen auf Audits und Zertifikate – das reicht aber nicht!

Bis Anfang Dezember haben rund 40 Mitgliedsunternehmen ihre Berichte veröffentlicht. Darin stellen sie u. a. ihr Risiko für Zwangsarbeit in ihrer eigenen Wertschöpfungskette dar und formulieren ausgehend von dieser Analyse Ziele und Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Risikos. Dass es diese unternehmensindividuelle, öffentliche Berichterstattung gibt, ist ein großer Pluspunkt des Textilbündnisses. Interessierte Expert*innen, aber auch die breite Öffentlichkeit, können nun nachlesen, was die einzelnen Unternehmen zur Erreichung der ökologischen und sozialen Ziele des Bündnisses beitragen.

Leider müssen jedoch nicht mehr alle Mitgliedsunternehmen des Bündnisses Ziele für ihre identifizierten sozialen und ökologischen Risiken formulieren. Denn diejenigen, die nach den Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) berichten oder vom Grünen Knopf zertifiziert sind, sind von der verpflichtenden Berichterstattung im Textilbündnis ausgenommen. Das ist für einen Vergleich mit den Berichten im Textilbündnis durchaus ein Problem, denn die Berichte im Rahmen des LkSG werden erst im kommenden Jahr veröffentlicht. Und die Berichte im Rahmen des Grünen Knopfs sind nicht zentral auf der Website des Grünen Knopfs zu finden, sondern dezentral auf den Firmen-Websites – was eine Auswertung ungemein erschwert. Diese Berichte von Bündnisunternehmen innerhalb des Grünen Knopfs werden deshalb hier nicht berücksichtigt.

Zwangsarbeit gehört zu den Menschenrechtsverletzungen, die in der textilen Kette in vielen Produktionsländern ein erhebliches Risiko darstellen (s. hierzu auch den Blogbeitrag zur Auswertung der Unternehmensberichte aus dem Jahr 2021). Für Unternehmen ist es deshalb wichtig, konkret in die eigenen Lieferketten zu schauen, um sicherzustellen, ob sie Zwangsarbeit ausschließen können – und dann im Sinne einer auf internationalen Arbeitsnormen basierenden Null-Toleranz-Politik, die es gegenüber gravierenden Menschenrechtsverletzungen geben muss, Ziele und Maßnahmen zur Beseitigung von Zwangsarbeit zu formulieren.

Was die Berichte inhaltlich liefern

Für Menschen, die sich mit dem Sorgfaltspflichtenprozess im Textilbündnis nicht auskennen, ist es nicht so einfach, die Struktur der einzelnen Berichte nachzuvollziehen. Sie bestehen im Kern

  • aus einem sog. Fortschrittsbericht, in dem die Unternehmen erläutern, welche Ziele sie in den letzten zwei Jahren mit welchen Maßnahmen verfolgt haben und ob sie ihre Ziele erreicht haben,
  • und einer Roadmap, in der die Unternehmen eine auf ihre jeweilige Lieferkette zugeschnittene knappe Risikoanalyse mit einer Zielformulierung und einem Maßnahmenplan für die kommenden zwei Jahre darstellen.

Einige wenige Unternehmen veröffentlichen keinen Fortschrittsbericht, weil sie erst seit kurzem Mitglied im Bündnis sind und am letzten Berichtsprozess vor zwei Jahren noch nicht teilgenommen haben. Eine Mehrheit von mehr als 20 Unternehmen (darunter adidas, Kik, Lidl, Otto, Tchibo u.a.) veröffentlicht keine Roadmap mehr, weil sie schon im Rahmen des Lieferkettengesetzes oder des Grünen Knopfs berichten (müssen). Die übrigen 14 Unternehmen haben sowohl einen Fortschrittsbericht als auch eine Roadmap veröffentlicht.

Diese Strukturveränderung hat zur Folge, dass vor zwei Jahren noch 65 Ziele zur Bekämpfung von Zwangs- und Kinderarbeit formuliert wurden, über die nun in den Fortschrittsberichten berichtet wird – aber nur rund 20 Ziele für die kommenden zwei Jahre formuliert werden. Natürlich ist Quantität nicht gleich Qualität. Aber die strukturellen Veränderungen im Berichtserstattungsprozess des Textilbündnisses bedeuten auch, dass man bei den meisten Mitgliedsunternehmen im Textilbündnis nicht mehr auf einen Blick nachlesen kann, was sie sich für die kommenden Jahre konkret vornehmen, um ihre sozialen und ökologischen Risiken inkl. Zwangsarbeit zu reduzieren. Trotz dieser Einschränkungen lohnt sich ein Blick in die Inhalte der Berichte und der Roadmaps.

Wie schon 2021 verorten die Unternehmen das Risiko für Zwangsarbeit vor allem in der tieferen Lieferkette und hier insbesondere im Baumwollanbau. So richtig dies einerseits ist, weil das Risiko für Zwangsarbeit im Baumwollanbau in einigen Ländern hoch ist, so steckt doch andererseits auch ein entscheidender Kurzschluss in diesem oft einseitigen Blick auf den Baumwollanbau: Folgt man den Indikatoren der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu Zwangsarbeit, dann darf der Blick der Unternehmen (und auch die Zielformulierung) nicht auf den Baumwollanbau beschränkt bleiben. Die Unternehmen müssten sich mit gleicher Intensität erzwungenen Überstunden, nicht gezahlten Löhnen und den von Arbeitsmigrant*innen häufig verlangten Arbeitsvermittlungsgebühren auf den weiteren Verarbeitungsstufen widmen (siehe hier u. a. unseren Blogbeitrag zu erzwungenen Überstunden in Bangladesch). Treten mehrere dieser Indikatoren zugleich auf, erhöht sich das Risiko von Zwangsarbeit. Dass dies eine komplexe Herausforderung darstellt, ist keine Frage. Doch scheinen die Mitgliedsunternehmen im Textilbündnis auch in der soundsovielten Berichtsschleife immer noch primär mit der Entwicklung von Codes of Conduct, Leitlinien und deren Kommunikation beschäftigt zu sein.

Zertifikate machen nicht alles gut

Häufig finden sich in den aktuellen Roadmaps Ziele zur Beschaffung von nachhaltiger (also: zertifizierter) Baumwolle oder von zertifizierten weiterverarbeiteten Produkten – in der Annahme, dass zertifizierte Produkte das Risiko von Zwangsarbeit ausreichend minimieren.

Zertifikate und Audits sind aber kein ausreichendes Risikomanagement. Darauf haben zahlreiche Recherchen der letzten Jahre und auch die Zivilgesellschaft im Textilbündnis immer wieder hingewiesen. Dies beweist aktuell auch der Fall der Better Cotton Initiative: Eines ihrer Mitglieder, das chinesische Unternehmen Anhui Xinya New Materials Co., wurde mit Wirkung vom 11.12.2023 einem Importverbot in die USA wegen des Verdachts von Zwangsarbeit unterzogen. Wer also denkt: Meine Baumwolle ist BCI-zertifiziert, es besteht kein Risiko von Zwangsarbeit, denkt falsch!

Die einzige Möglichkeit, dieser Audit- und Zertifizierungsfalle zu entgehen, ist die Beteiligung der Beschäftigten aller Verarbeitungsstufen am Lieferkettenmonitoring. Wo Beschäftigte eingebunden werden und eine Stimme haben, besteht eine reelle Chance, dass Auftraggeber*innen mehr Einblick gewinnen, als es die Momentaufnahmen der Audits ermöglichen. Es gibt bereits verschiedene Versuche, diese Einbeziehung von Beschäftigten in eine „beschäftigtengesteuerte soziale Verantwortung“ auszubauen. Die aktuelle Multiakteurs-Partnerschaft von FEMNET, HEJSupport, INKOTA und SÜDWIND mit den bangladeschischen Partnerorganisationen BILS und ESDO gehört dazu. Ob diese Ansätze auch wirksam gegen Zwangsarbeit in globalen Lieferketten sind, wird aktuell in einem Forschungsprojekt eruiert.

Nicht alles greift zu kurz

Es soll nicht der Eindruck entstehen, alles an der Berichterstattung des Textilbündnisses sei schlecht. Es gibt einige sehr interessante und positive Ansätze:

  • Puma beschäftigt sich im Kontext von Zwangsarbeit mit Arbeitsvermittlungsgebühren in asiatischen Ländern, will diese bei seinen Zulieferbetrieben vollständig abschaffen und beteiligt sich an Wiedergutmachungszahlungen.
  • Kettelhack geht das Risiko von Zwangsarbeit in seiner Baumwollbeschaffung dadurch an, dass es seine Lieferkette verkürzt hat, sie dadurch besser kennt und größere Einflussmöglichkeiten auf die tiefere Lieferkette hat.
  • Waschbär benennt als einziges Unternehmen in seiner Risikoanalyse, dass das Risiko von Kinder- und Zwangsarbeit durch Preisdruck oft erhöht wird; um dieses zu minimieren, nutzt das Unternehmen primär höherpreisige Bio-Baumwolle.

Insgesamt machen die Berichte den Eindruck, dass die einzelnen Maßnahmen der letzten sowie kommenden Jahre nicht der von vielen Unternehmen (und dem Textilbündnis!) proklamierten Null-Toleranz-Politik gegenüber Kinder- und Zwangsarbeit Rechnung tragen. Deshalb wäre es hilfreich, wenn die Fortschrittsberichte und Roadmaps der Bündnismitglieder systematisch ausgewertet werden würden. Auch wenn das einen gewissen Arbeitsaufwand bedeuten würde, so könnten dadurch sowohl die Lücken und Probleme erkannt als auch vielversprechende Ansätze bekannt gemacht werden. Vielleicht fallen dann noch mehr positive Beispiele ins Auge als nur die drei genannten.

 

Beitragsbild: © Jared J. Kohler / ILO
Lieferkettengesetz, Textile Wertschöpfungskette

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