Von Bjarne Behrens und Jiska Gojowczyk
Der Begriff der Just Transition scheint zunehmend wichtig in der Europäischen Union: Auf EU-Ebene gibt es seit 2021 einen Just Transition Fund und einen Just Transition Mechanismus, außerdem wurde eine Just Transition Plattform eingerichtet. Niemand soll zurückgelassen werden auf dem Weg zur Klimaneutralität, so das Motto. Aber wo kommt der Begriff des „gerechten Wandels“ eigentlich her? Was ist gerecht? Und wer definiert das eigentlich?
Just Transition Herkunft und historische Entwicklung des Begriffs
Nicht nur auf oberster politischer Ebene ist der Begriff angekommen, auch immer mehr Unternehmen werben damit, dass sie ihren Beitrag zur Just Transition leisten. Dabei kommt der Begriff ursprünglich aus der Gewerkschaftsbewegung der 1980er. Ausgehend von strengeren Grenzwerten für Luft- und Wasserverschmutzung in den USA drohte die Schließung vieler besonders schmutziger Industrien. Als Reaktion darauf entwickelten die damals stark männlich geprägten Gewerkschaften das Prinzip der Just Transition. Das Prinzip umfasste, dass Arbeitsplätze gesichert werden sollten. Bei Arbeitsplatzverlust sollte adäquate finanzielle Unterstützung gezahlt werden, außerdem würdevolle Arbeit in sauberen Industrien geschaffen werden.
Die internationale Organisation für Arbeit (ILO) hat das Prinzip 2015 in ihren Richtlinien aufgenommen (siehe Guidelines dazu hier). Spätestens seit der Klimakonferenz 2021 in Glasgow nahm Just Transition Eingang in die Debatte zur Transformation hin zur Klimaneutralität.
Feministische Kritik
Seither ist der Begriff umkämpft. In seiner historisch-gewerkschaftlichen Bedeutung wird aus feministischer Sicht kritisiert, dass er sich hauptsächlich auf männlich dominierte Sektoren bezieht. Frauen sind sowohl in gut organisierten Gewerkschaften als auch in Politik und Verwaltung unterrepräsentiert. Zudem sind viele Frauen durch die ungleich verteilte (unbezahlte) Sorgearbeit von den Einkommen ihrer Ehemänner abhängig.
Forderungen nach würdevoller Arbeit in einer dekarbonisierten Wirtschaft schließen die Lebensrealitäten und Perspektiven vieler Frauen aus. Es sind überwiegend weiß positionierte, männliche Arbeiter im Globalen Norden, die von der Schaffung „grüner Jobs“ profitieren.
Emanzipatorisches Potential
Schon früh wurde das Konzept der Just Transition von Umwelt- und Klimabewegungen sowie Aktivist*innen aus dem Globalen Süden aufgegriffen. Verteilungs-, Prozess- und Anerkennungsgerechtigkeit sowie Fragen der Widergutmachung stehen im Zentrum dieser Debatte. Dabei werden auch die Wurzeln bestehender Ungerechtigkeiten in den Blick genommen wie zum Beispiel rassistische und patriarchale Gesellschaftsstrukturen sowie kapitalistische Ausbeutungsmechanismen.
Eine gerechte Transformation beinhaltet demnach nicht bloß das Vermeiden neuer Ungerechtigkeiten, sondern die Überwindung von Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen allgemein. Demgegenüber steht die Sorge, mit seinem Eingang in große politische Strategien würde der Begriff verwässert und im Einklang mit bestehenden Machtverhältnissen umgedeutet.
Gefahr der Vereinnahmung
Angesichts der eskalierenden Klimakrise ist der Transformationsbedarf unserer ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen immens. Diese Einsicht hat sich zumindest rhetorisch durchgesetzt. Doch trotz des Pariser Klimaabkommens und zeitweise sehr großen Protesten insbesondere durch die Fridays for Future Bewegung sind die Widerstände von Unternehmen und Lobbyorganisationen, die vom Status quo profitieren, nach wie vor groß. Der Begriff der Just Transition scheint benutzt zu werden, ohne wirkliche Veränderungen bewirken zu wollen.
Und nun?
Die Auseinandersetzungen zum Begriff der Just Transition sind nicht nur hohle Wortgefechte. Welche Lesart sich durchsetzt, kann bedeuten, dass politische und wirtschaftliche Entscheidungen globale Ungerechtigkeit verstärken oder dass diese Entscheidungen zu Überwindung von Ungerechtigkeit beitragen.
SÜDWIND wird deshalb in den kommenden Jahren das Thema am Beispiel der Modeindustrie verfolgen. Wird ein gerechter Wandel zu beobachten sein? Wird die Industrie überhaupt den Weg zur Klimaneutralität einschlagen? Falls ja, welche Stimmen werden dabei gehört, welche Interessen aufgenommen (und welche nicht)?
Gemeinsam mit 12 anderen Organisationen des internationalen Netzwerks der Kampagne für Saubere Kleidung wird unsere Arbeit zum Thema von der EU gefördert. In diesem Netzwerk hat sich auch eine Just Transition Arbeitsgruppe gegründet, der wir angehören.
Gemeinsam wollen wir dazu beitragen, dass Veränderungen wirklich auch zu gerechteren Wirtschaftsbeziehungen führen, nicht zuletzt in der Modebranche.
Beitragsbild: © SÜDWIND