Bunte Plastikhandschuhe auf einem Tisch.

Just Transition: Herausforderungen für die globalisierte Lederbekleidungsindustrie

Von Jiska Gojowczyk und Bjarne Behrens

Manche Industrien werden besonders mit der Forderung einer „Just Transition“ in Verbindung gebracht (also einem gerechten Wandel, siehe mehr dazu hier). Dazu zählt insbesondere der Kohleabbau.

Zu anderen Industrien wird die Debatte zu einer Just Transition bisher weniger geführt. Zu dieser Gruppe zählt die Leder- und die Lederbekleidungsindustrie. Das ist insofern erstaunlich, da diese durchaus zu den üblicherweise „schmutzigen“ Industrien gezählt werden kann – zu solchen Industrien, die seit Jahrhunderten und bis heute tatsächlich zulasten der Mitwelt gewirtschaftet haben. Schaden nahmen und nehmen Umwelt, Tierwelt, Beschäftigte im Sektor, angrenzende Gemeinden.

Der Begriff der Just Transition wurde historisch in den USA geprägt, als eben solche „schmutzigen“ Produktionsweisen durch Regulierung in einen Wandel gezwungen wurden. Auch in Europa musste die Lederindustrie sich mit neuen Gesetzen auseinandersetzen: insbesondere solchen zum Schutz der Gewässer und zum Verbraucher*innenschutz bezüglich giftiger Rückstände in Produkten (etwa der wertvollen Chemikalienverordnung REACH). Methoden des Gerbens und Abwassermanagement mussten angepasst werden. Neue technische Lösungen wurden zum Teil gefunden und angewendet. Nach wie vor ist die Arbeit in Gerbereien aber – auch in Deutschland – überproportional gefährlich (Branchenanalyse Leder- und Schuhindustrie 2021, S. 56).

Globalisierung der Lederproduktion

Ähnlich anderer produzierender Gewerbe wurden in den letzten Dekaden aber nicht nur Technologien angepasst, sondern auch Lieferketten globalisiert. Produktion von Leder ging vielerorts zurück. Heute gibt es noch wenige Gerberei-Betriebe in Deutschland. Produkte aus Leder werden aus anderen Ländern eingekauft:

Deutsche Unternehmen kauften im Jahr 2022 Lederbekleidung etwa aus Pakistan (rund 17 %), aus Indien (16 %), Italien (15 %) oder China (8 %), jeweils nach Wert, siehe OEC 2024. Global betrachtet wurden mehr als 8 % der globalen Lederbekleidung (nach Wert) aus anderen Ländern nach Deutschland verkauft. Nur Unternehmen aus den USA kauften weltweit mehr Lederkleidung ein (21 % der weltweiten Exporte).

Für Kleidung wie etwa Jacken, Röcke, Hosen und Handschuhe werden insbesondere Rinds-, Lamm-, Ziegen- und teilweise auch Schweinsleder genutzt (Lederzentrum o.J.). Der Gerbprozess von der Tierhaut zum fertigen Leder umfasst viele Stufen. Bis ein Kleidungsstück aus Leder fertig ist, kann das Leder und seine Zwischenprodukte mehrfach von einem Kontinent auf einen anderen verschifft worden sein. So beziehen Unternehmen aus China etwa konservierte Rohhäute („raw hides and skin, non-fur“) aus den USA (23 %), aus Australien (11 %), aus Brasilien (10 %) und Italien (7 %). Indien importiert Rohhäute zu jeweils 12-13 % aus Thailand und Italien sowie 8 % aus der Türkei. Weniger reisen scheinbar Lederzwischenprodukte nach Pakistan: Akteure in Pakistan importieren nach Wert eher wenig Rohhäute, ein knappes Drittel davon aus dem Nachbarland Iran (alle Daten OEC 2024).

Trotz vereinzelter Bemühungen sind die Lieferketten von Produkten mit Leder oft intransparent (siehe z. B. Together for Decent Leather 2022), die Folgen der Produktion vor Ort aber kaum zu übersehen. Dabei gab es auch in Ländern wie Indien immer wieder Versuche, die negativen Folgen der Lederindustrie einzudämmen (etwa zur Regeneration des Flusses Ganges) – jedoch mit insgesamt viel zu geringem Erfolg.

Missstände in der Industrie

Nach wie vor basieren die üblichsten Gerbmethoden auf der Nutzung von Chromsalz, insbesondere für Lederkleidung (Lederzentrum o.J.). Das Mineral Chrom wird u. a. in Südafrika, der Türkei und Kasachstan abgebaut. Wie andere Stoffe, die beim Gerben in den vielen verschiedenen Arbeitsschritten von der Haut zum finalen Leder genutzt werden (etwa Natriumsulfid), ist Chrom bei falschem Einsatz hochgiftig (insbesondere als ChromVI, was als krebserregend gilt).

Die Arbeitsbedingungen in der Industrie sind in den meisten Produktionsregionen außerordentlich schlecht. Arbeitsrechtsverstöße sind vielfach dokumentiert. SÜDWIND befasste sich in den letzten Jahren etwa mit Kinderarbeit in kleinen Lederwarenbetrieben in der Türkei und in Bangladesch und mit der desaströsen Situation vieler Beschäftigter in Indien während der Corona-Pandemie. Andere zivilgesellschaftliche Organisationen konnten zeigen, dass auch die Rechte Beschäftigter in Leder-Lieferketten in Pakistan nicht gewahrt werden. Zusammengefasst wurden u. a. folgende Rechtsbrüche immer wieder festgestellt:

Umweltbelastungen und negative Auswirkung auf die Wasser- und Bodenwirtschaft der umliegenden Bevölkerung
Schlechtere Arbeits- und Gesundheitsschutz in Gerbereien und Fabriken; keine ausreichende soziale Absicherung bei Unfällen
Unzureichende Löhne und ausbeuterische Beschäftigungsformen
Einschränkungen der Gewerkschaftsfreiheit
Kinderarbeit

Für einige Kleidungssegmente ist Leder ein sehr wichtiges Material – etwa bei Motorrad- und Reitkleidung, Trachten, mittelalterlicher oder Sado-Maso-Mode. Leder ist auch von großer Bedeutung für Schuhe und Accessoires und natürlich „luxuriöse“ Autos oder Möbel. Leder weiterzuverarbeiten ist eine herausfordernde Tätigkeit, da das Material sehr schwer ist und das Vernähen besonderer Fertigkeiten bedarf.

Ökologie ja, Mitsprache und Menschenrechte nein?

SÜDWIND beobachtet, dass in den letzten Jahren ökologische Herausforderungen durchaus Resonanz in Industrieforen der Lederindustrie sowie wissenschaftlicher und privatwirtschaftlicher Forschung und Entwicklung neuer Lösungen erfahren. Dabei hat sich jedoch noch keine Praxis etabliert, soziale und ökonomische Fragestellungen aus Perspektive der Beschäftigten einzubeziehen (siehe Gojowczyk/Ravi 2022). Menschenrechtliche Risiken werden kaum adressiert. Innovationen und Initiativen, die die Verbesserung von Arbeitsbedingungen und die politische Mitsprache der Beschäftigten entlang der Lieferketten zum Ziel haben, bleiben zivilgesellschaftlich angetrieben. Nahezu nur in zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen und journalistischen Beträgen finden sich Stimmen der Beschäftigten aus nicht-europäischen Ländern. Selbst deren gewerkschaftliche Vertretungen kommen kaum zu Wort in internationalen Prozessen zu einem Wandel der Lederindustrie und verwandter Waren (siehe als Beispiel die Interviewliste zu einem Policy Paper von UNECE 2020).

SÜDWIND wird in den nächsten Jahren die Lederbekleidungsindustrie in den Blick nehmen. Welche Zeichen eines gerechten Wandels können ausgemacht werden? Was können Akteure der Lederbekleidungsbranche von anderen Branchen lernen – und welche Werkzeuge und Erkenntnisse können von der Leder- auf andere Industrien übertragen werden?

Der nächste Beitrag zu einer Just Transition in der Lederbekleidungsindustrie wird sich Fragen und Politiken innerhalb lederverarbeitender Unternehmen sowie in lederproduzierenden Ländern zuwenden. Auch einzelne Sparten der Lederbekleidungsindustrie werden wir uns genauer anschauen. Davor veröffentlichen wir noch einen Gastbeitrag von der Frauenaktivistin Faith Irene Lanyero aus Kampala, Uganda. Sie fragt:

Wo endet Ausbeutung in der Bekleidungsindustrie?

Beitragsbild: © Flickr
China, Indien, Just Transition, Pakistan, Schuh- und Lederproduktion

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