Sabine Ferenschild
Chinesische Unternehmen sind in vielen Wirtschaftssektoren führend. In manchen Sektoren, wie zum Beispiel der E-Mobilität, wird diese Führungsrolle in Deutschland und Europa als bedrohlich für eigene Industrien und Unternehmen wahrgenommen. In anderen Sektoren – und dazu gehört der Textil- und Bekleidungssektor – wird die Abhängigkeit von chinesischer Produktion und chinesischen Unternehmen außerhalb von Fachkreisen kaum noch diskutiert.
Dennoch hat China eine dominante Position auch in der Textilwertschöpfungskette. Der Sektor gehört zugleich aufgrund zahlreicher schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen in vielen Produktionsländern zu den Risikosektoren bei der Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten.
Der Weltmarkt
Vor rund 20 Jahren lief das Welttextilabkommen – weiterlesen auf suedwind-institut.de aus. Damit wurde der globale Textil- und Bekleidungshandel weitgehend liberalisiert. Dies verstärkte die Verlagerung der Produktion nach China und in andere asiatische Länder. Bis heute ist China für internationale Auftraggeber besonders im Textilbereich attraktiv. Im Bekleidungsbereich dominiert China zwar ebenfalls, allerdings gewinnen Produktionsländer wie Bangladesch, Pakistan, Indien oder Vietnam seit Jahren an Bedeutung. Die Textil- und Bekleidungsindustrie dieser asiatischen Länder inklusive Chinas ist über den Handel mit textilen Vorprodukten und Investitionen eng miteinander verwoben und bildet das bedeutendste textile Produktionsnetzwerk der Welt.1
Neben den asiatischen Produzenten haben vor allem die Marken- und Handelsunternehmen in den wichtigen Absatzmärkten Europa, Japan und Nordamerika, die im Jahr 2022 immer noch knapp 34 % aller Textilien und knapp 60 % aller Bekleidung importierten (WTO 2023, Table A22+23), von der Liberalisierung profitiert. Durch ihre Kenntnis der Absatzmärkte und ihre Marktmacht können die Marken- und Handelsunternehmen Preise (und Lieferzeiten) diktieren, die sogar unter den Produktionskosten liegen (können).
Zwar haben Zulieferbetriebe aus China heutzutage Alternativen zu den klassischen Märkten wie zum Beispiel den wachsenden chinesischen Binnenmarkt oder die Möglichkeit des Direktverkaufs an europäische Endkund*innen via Plattformen wie Temu. Dennoch besteht aufgrund der anhaltenden Bedeutung der großen Absatzmärkte in den Industrieländern die Machtasymmetrie zwischen Auftraggeber*innen und den meisten Zulieferbetrieben weiterhin.
Welche Rolle spielt China in dem Sektor?
Textilien und Bekleidung gehören zu den wichtigsten Exportgütern Chinas (2023: Rang 4). Knapp 44 % aller Textilexporte weltweit stammten im Jahr 2022 aus China sowie knapp 32 % aller Bekleidungsexporte. Damit ist China weltweit führend. Für Deutschland und die EU ist China das wichtigste Herkunftsland von Textilien und Bekleidung (Angaben für 2021).
Die Vorteile Chinas liegen vor allem in einer sehr guten Infrastruktur, einer hohen Effizienz und der Tatsache, dass alle textilen Verarbeitungsstufen von der Faserproduktion bis zur Konfektionierung im Land vorhanden sind. Dass die chinesische Führung auch an arbeitsintensiven Industriesektoren wie der Textil- und Bekleidungsindustrie festhalten will, machte Xi Jinping in einer Rede im Frühjahr 2023 deutlich, in der er die zentrale Rolle „traditioneller Industrien“ für die nationale Wirtschaft betonte und sie als Grundlage für den Aufbau eines modernen Industriesystems bezeichnete. Es sieht also so aus, als würde China seine bedeutende Position im globalen Textil- und Bekleidungshandel erhalten wollen.
Der Kampf um den Lohn
Seit den 1990er Jahren sind zahlreiche Berichte über die prekären Arbeitsbedingungen in der chinesischen Textil- und Bekleidungsindustrie erschienen. Nach der Niederschlagung der Arbeitsrechtsorganisationen in China und Hong Kong ist die Berichtslage dünner geworden, weil es seitdem schwieriger ist, Beschäftigte zu ihren Arbeitsbedingungen zu befragen. Auswertungen chinesischer Anwaltsforen, staatlicher Beschwerdekanäle sowie von Social-Media-Verläufen durch die schwedische Initiative Globalworks zeigen dennoch erhebliche menschenrechtliche Risiken im chinesischen Textil- und Bekleidungssektor:
- Die Löhne für eine reguläre Arbeitswoche liegen deutlich unter einem existenzsichernden Lohn. Selbst mit Überstunden und Zuschlägen haben Beschäftigte 20-60 % weniger als den existenzsichernden Lohn.
- Es ist ein verbreiteter Missstand, dass Überstundenzuschläge nicht ausgezahlt werden.
- Die Kündigung durch Beschäftigte wird vom Arbeitgeber u.a. durch Strafen behindert, wodurch das Risiko von Zwangsarbeit entsteht.
Vereinigungsfreiheit wird behindert. - Informelle Beschäftigung ohne Arbeitsvertrag und Sozialversicherung hat seit der Corona-Pandemie zugenommen.
Nicht gezahlte Löhne sind laut der Streikkarte des China Labour Bulletins (CLB) die häufigste Ursache für Arbeitskonflikte in China. Wenn Beschäftigte entlassen werden, ist es die Regel, dass die Arbeitgeber*innen ihnen mehrere Monatslöhne schulden. Wenn ein*e Auftraggeber*in einen Auftrag abzieht oder die Geschäftsbeziehung beendet, ist es noch wahrscheinlicher, dass Lohnrückstände auftreten.
Mit ihrer Methodik und ihren Berichten liefern CLB und Globalworks wichtige Informationen für die Umsetzung wirksamer menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten. Globalworks listet außerdem für die einzelnen Risikobereiche hilfreiche Untersuchungsfragen auf, die im Rahmen der Risikoanalyse von Unternehmen genutzt werden können, und empfiehlt die Nutzung der Indikatoren der ILO zur Aufdeckung von Zwangsarbeit.
Ausblick
Die vielfältigen menschenrechtlichen Risiken im chinesischen Textil- und Bekleidungssektor stellen eine große Herausforderung für die Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten dar. Während Auftraggeber*innen im Fall der Missstände bei Lohnzahlungen Handlungsmöglichkeiten im Bereich der Datenerhebung auf Fabrikebene und der Risikominimierung durch Anpassung ihrer Einkaufspraktiken haben, ist dies beim Risiko der Zwangsarbeit komplizierter.
Am ehesten können Auftraggeber*innen ihre Sorgfaltspflichten beim Risiko der Zwangsarbeit wahrnehmen, wenn sie vor Beauftragung eines Zulieferunternehmens prüfen, ob dieses durch Geschäftsbeziehungen nach Xinjiang oder Beteiligung an staatlichen Programmen, die das Zwangsarbeitssystem unterstützen, ein erhöhtes Risiko für Zwangsarbeit hat – und in diesem Falle einen anderen Zulieferbetrieb wählen. Alternative Lieferketten aufzubauen, bei denen die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten einfacher ist, ist auf jeden Fall ratsam.
Anmerkung
Ferenschild, Sabine (2023): Von der Globalisierung zum Near-Shoring. Tendenzen in der globalen Textil- und Bekleidungsindustrie. In: Gröbel, Rainer / Jaquemin, Tanja / Winkeljohann, Norbert (Hrsg): Corporate Responsibility. Mitbestimmte Aufsichtsratsarbeit im nachhaltigen Unternehmen. Frankfurt a.M., S. 176-188.
Dieser Blogbeitrag ist eine Kurzfassung aus der Studie „Und was ist mit den Menschenrechten? China und die Sorgfaltspflichten“.
Beitragsbild: Fabrikhalle in Fujian (China), © Fritz Hofmann / SÜDWIND