Global greift Corona um sich. Unterschiedslos jeden von uns kann es treffen – unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und Nationalität. Was heißt das für globale Lieferketten und unsere globale Verantwortung für ungeschützte Mitmenschen?
Artikel von Gisela Burckhardt, Vorstandsvorsitzende von FEMNET e.V.
Die rasche Ausbreitung des Virus rechtfertigt derzeit drastische Maßnahmen und weitreichende Einschränkungen unserer persönlichen Freiheiten. In diesem Kontext tragen besonders Unternehmen eine große Verantwortung zum Schutz ihrer Mitarbeiter*innen sowie für die Beschäftigten in ihrer Lieferkette. Denn einen Unterschied gibt es: Je mehr Ressourcen uns zur Verfügung stehen – Schutzausrüstung, Rückzugsmöglichkeiten, Jobsicherheit… – desto besser können wir uns vor dem Virus schützen. Und vorbei ist die Krise noch nicht – die ökonomischen Auswirkungen werden weltweit gerade erst sichtbar. Die stärksten Auswirkungen haben ungeschützte Bevölkerungsgruppen zu befürchten.
Lieferketten brechen zusammen
Nicht nur der Handel in Deutschland ist von Corona betroffen, es drohen überall Insolvenzen, die Corona-Pandemie trifft auch die Produzenten unserer Kleidung und dort vor allem die Näherinnen. Mit dem Corona-Virus zeigt sich, dass Lieferketten schnell zusammenbrechen können: Wenn in China nicht mehr die Reißverschlüsse und Knöpfe oder Stoffe hergestellt werden, stehen die Fabriken in Bangladesch still. Aus unserem Netzwerk erfahren wir von drohenden Fabrikschließungen in Myanmar, Kambodscha, Indonesien, Sri Lanka und Bangladesch, weil Aufträge ausbleiben, reduziert werden oder Vorprodukte fehlen. Aus Bangladesch wird berichtet, dass in rund 100 Fabriken Aufträge storniert wurden.
Kalpona Akter, Leiterin unserer Partnerorganisation Bangladesh Centre for Workers Solidarity (BCWS) in Bangladesch schreibt: „Unternehmen haben Aufträge storniert, die Arbeiterinnen fürchten um ihre Jobs und haben Angst angesteckt zu werden. Sie leben von der Hand in den Mund, viele sind verschuldet, wie können sie ohne Löhne überleben? Wenn Arbeiterinnen entlassen werden, sollten ausländische Unternehmen ihre Zahlungen schnell tätigen, damit die Arbeiterinnen zumindest ihre ihnen gesetzlich zustehende Abfindung erhalten.“
Pandemie bedroht Arbeiterinnen
In Bangladesch leben die Menschen miteinander auf engem Raum, ein Virus verbreitet sich dort besonders schnell. Krankenhäuser sind nicht vorbereitet, Schutzkleidung, Masken und Tests fehlen. Viele Frauen leiden unter Blutarmut und sind unterernährt, da der Lohn nicht zum Leben ausreicht. Aus Tiruppur in Indien erfahren wir, dass die Schulen bereits geschlossen sind, bisher aber nicht die Fabriken. Kinder sind jetzt also auf der Straße oder allein zu Hause, eine Betreuung fehlt.
Mittelfristig müssen wir jedoch mit Fabrikschließungen rechnen. Markenunternehmen stornieren bereits jetzt Bestellungen oder erteilen keine neuen Bestellungen in der Erwartung einer bevorstehenden Rezession und rückläufiger Umsätze.
Solidarität ist nötig
In dieser Zeit ist Solidarität ganz besonders nötig. Wir stehen an der Seite der Näher*innen, deren Rechte täglich verletzt werden und deren Überleben nun wegen der Pandemie noch schwieriger geworden ist. Gerade jetzt müssen wir Solidarität zeigen, wir dürfen unsere Partner nicht allein lassen.
Wir richten deshalb einen dringenden Appell an die Unternehmen der Bekleidungsbranche
- Vergeben Sie langfristige Aufträge, um Schließung von Fabriken und Entlassung von Arbeiter*innen zu verhindern – gerade in dieser Zeit ist Planungssicherheit besonders nötig
- Näher*innen müssen vor Ansteckung geschützt werden: Mundschutz, Schutzkleidung und andere Formen einer Ausrüstung wie Schutzwände müssen zur Verfügung gestellt werden
- Stellen Sie sicher, dass Arbeiter*innen ausreichend Informationen erhalten, um sich zu schützen
- Arbeiter*innen, die den Virus schon haben oder wo der Verdacht besteht, dass sie ihn haben, müssen während der Zeit der Quarantäne weiterbezahlt werden bzw. bezahlten Krankenurlaub erhalten
- Alle Maßnahmen müssen für alle Beschäftigten gelten: Formell Beschäftigte wie informell oder kurzfristig Beschäftigte, Heimarbeiter*innen und Migrant*innen
- Stellen Sie sicher, dass Ihre Lieferanten transparent über die Anzahl der Infizierten berichten
- Es sollten regelmäßige Gespräche mit Gewerkschaften geführt werden, um die Sicherheit der Arbeitsplätze zu wahren
Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass das Virus nicht diejenigen am stärksten trifft, die am wenigsten Ressourcen haben, um sich vor den Auswirkungen zu schützen. Genauso, wie jede und jeder Einzelne von uns derzeit gefragt ist, solidarisch Einschränkungen in Kauf zu nehmen und Risikogruppen nachbarschaftlich zu unterstützen, müssen auch Unternehmen die nötigen Schutzmaßnahmen für die Menschen in ihrer Lieferkette solidarisch und konsequent umsetzen. Global agierende Unternehmen tragen im Kontext dieser weltweiten Pandemie auch eine globale Verantwortung für Arbeiterinnen und Arbeiter.
Credit Beitragsbild: Arbeiterinnen, Phnom Penh, Kambodscha - © Martin De Wals Will Baxter / Clean Clothes Campaign