Unternehmen, die seit vielen Jahren günstig in Myanmar Geschäfte machen, müssen sich seit dem Militärputsch neu entscheiden: Weiterproduzieren wie gehabt oder ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen? Das gilt auch für Textilfirmen und Modemarken.
Widerstand der Bevölkerung gegen die Militärjunta
Nur wenige Tage nach dem Putsch im Februar 2021 bildete sich die Bewegung des zivilen Ungehorsams (CDM) gegen den Staatsstreich, die brutalen Menschenrechtsverletzungen und die massenhaften Verhaftungen und Inhaftierungen von Journalist*innen, Regierungs-, Parlaments-, und Gewerkschaftsmitgliedern.
Hunderttausende Bürger*innen und Arbeiter*innen, große Teile der Zivilgesellschaft und der Gewerkschaften legen immer wieder kollektiv ihre Arbeit nieder, protestieren friedlich auf den Straßen und trauern um Hunderte getötete Mitmenschen.
Mitglieder und Anführer*innen der Gewerkschaften stehen in vorderster Linie dieser Proteste und verweigern standhaft die Zusammenarbeit mit der illegalen Militärjunta. Sie streikten in zahlreichen Fabriken, die zum großen Teil mit dem Militärregime verbunden sind. Die Beschäftigten im Bekleidungssektor, die meisten von ihnen Frauen, stehen an vorderster Front der Protestaktionen gegen den Staatsstreich (1).
Die aktuelle Situation im Textilsektor
Nach dem Militärputsch unterbrachen weltweit tätige Textil-Einzelhandelsfirmen wie Bestseller, H&M und Primark zwischen März und Mai 2021 ihre Bestellungen und Geschäftsbeziehungen. Im Juni nahmen sie sie wieder auf – um sie dann mit der dritten COVID-19-Welle erneut zu stoppen. Die Folge: Millionen von Textilarbeiter*innen standen auf der Straße, viele ohne Lohn und jegliche Unterstützung. Inzwischen ging die Produktion wieder los.
Die britische Marke Bestseller ließ sich anwaltlich beraten und nahm dann – ohne weitere ersichtliche Schritte bezüglich der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten – die Geschäfte wieder auf. Begründung: Angeblich könne nicht angenommen werden, dass das Militärregime direkt davon profitierte.
H&M und auch Primark versichern, dass sie im engen Dialog mit diplomatischen Vertreter*innen und Menschenrechtsexpert*innen bzw. mit ihren Lieferfirmen stünden, die Situation genau beobachteten und dabei den Empfehlungen der Regierung und externen Expert*innen folgten. Die Betroffenen aber sind nicht einbezogen. Angemessene HRDD (menschenrechtliche Sorgfaltspflicht)? Fehlanzeige.
Die Bedingungen in Myanmar erschweren einen Überblick sehr, gerade deshalb ist es wichtig, dass die Erfahrungen und Sichtweisen der betroffenen Personen berücksichtigt werden. Dazu tragen lokale Interessengruppen bei, die ausländischen Unternehmen helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen (zu gehen oder zu bleiben), aber wichtiger noch: zu entscheiden, dass man sich bei jedem Schritt bemüht, den betroffenen Rechteinhaber*innen gerecht zu werden.
Laut Industrial Workers‘ Federation of Myanmar (IWFM), mit der unsere Mitgliedsorganisation FEMNET in engem Kontakt steht,
- werden Gewerkschafter*innen, darunter viele Frauen mit Kindern, durch das Militär verfolgt.
- zwingt das Militär die Fabriken, Kontaktdaten der Gewerkschafter*innen herauszugeben.
- haben sich die Arbeitsbedingungen verschlechtert, Tarifverträge und alle arbeitsrechtlichen Bestimmungen wurden aufgekündigt.
- werden die Beschäftigten zu Überstunden und Sonntagsarbeit gezwungen, häufig ohne Bezahlung.
- müssen die Arbeiter*innen auf Urlaub verzichten.
- wurden die Leistungen aus dem Sozialversicherungssystem Schwangere müssen ihren Arbeitsplatz aufgeben, weil sie keinen Mutterschaftsurlaub nehmen dürfen.
- nimmt geschlechtsspezifische Gewalt zu.
- schüchtern Firmenleitungen die Beschäftigten ein, indem sie Militär und Polizei für den Werkschutz einsetzen.
Anderen kleinen Gewerkschaften vor Ort ging es mehr um den Erhalt von Arbeitsplätzen überhaupt.
Menschenrechtsverletzungen der Militärregierung im Schutz von EU-Handelspräferenzen
industriAll Global Union und industriAll European Trade Union fordern die EU auf, entschlossen gegen die Militärjunta in Myanmar vorzugehen. Das EBA-Handelsschema (Everything But Arms) der EU mit seinen vorteilhaften Handelszöllen verstößt eklatant gegen die Bestimmungen des Allgemeinen Präferenzsystems (APS) der EU, nach denen die begünstigten Länder die Grundsätze der 15 Kernkonventionen zu Menschen- und Arbeitnehmerrechten einhalten müssen (2).
Der EU-Sprecher Peter Stano aber zeigt sich bislang unbeeindruckt von dieser Forderung und vertritt die Ansicht, das Aufkündigen der EBA-Präferenzen träfe weniger die Militärregierung, sondern die Arbeiter*innen. Nach Einschätzung der Gewerkschaften ist aber gerade die Bekleidungsindustrie eine wichtige Devisenquelle für das Regime und die Aussetzung des EBA-Abkommens würde der Junta lebenswichtige Mittel entziehen.
Hinzu kommt: Die Bevölkerung profitiert nicht von diesem Abkommen. Nach Angaben von Save the Children haben Familien in Myanmar seit dem Putsch im Durchschnitt mehr als die Hälfte ihres Einkommens verloren.
Marken und Händler*innen, aber auch die Konsument*innen, müssen auf dem Hintergrund dieser Informationen aus Myanmar entscheiden, ob es ein ‚Weiter so!‘ geben kann oder ob sie nicht doch menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten mehr Bedeutung beimessen wollen.
(1) Industriepark Yangon: Etwa 2000 Beschäftigte der Bekleidungsfabriken JW (Great Glowing Investment) und A Dream of Kind (ADK) streikten Anfang Juli 2022(?) und erklärten, die Verletzung ihrer Grundrechte sei unerträglich geworden:
6-Tage-Woche mit 12-Stunden-Schichten;
60 Kleidungsstücke muss ein*e Näher*in pro Stunde fertigstellen;
bis zu 100 Überstunden pro Monat leisten die Beschäftigten;
Arbeiter*innen dürfen nur mit Kolleg*innen in ihrer Arbeitsplatzreihe kommunizieren;
Wer an Streiks teilnimmt, muss mit verstärkten Repressionen rechnen, denn Streiks gelten unter der Militärjunta als illegal.
(2) Das Business & Human Rights Resource Center berichtet in seinem Allegations Tracker, dass über 100 Fälle von Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen an 60 800 Textilarbeiter*innen aufgedeckt wurden in 70 Fabriken, die für globale Modemarken und Händler*innen produzieren, darunter die Textilbündnisunternehmen adidas, C&A, H&M, Lidl und Primark.
Polizisten und Soldaten prügelten am 29. Juli auf Textilarbeiter*innen ein, die auf nicht bezahlte Löhne und Entschädigungszahlungen warteten.
Anfang August 2022 wurden auf Geheiß des Militärs Hunderte Beschäftigte der Textilindustrie grundlos entlassen.
Beitragsbild: © Myanmar now mediass