Amani Allagui von der tunesischen Arbeitsrechtsorganisation FTDES untersuchte 2017 für die CIR die Arbeitsbedingungen in einer tunesischen Fabrik, in der u. a. Bekleidung für die Bundeswehr hergestellt wurde. FTDES stellte Arbeitsrechtsverletzungen fest, die Beschaffungsstelle der Bundeswehr beharrt jedoch darauf, ein Sozialaudit des TÜV Rheinland habe die Defizite nicht bestätigt. Doch genau über die Mängel solcher Kontrollen und die aggressive Reaktion des Fabrikleiters berichtet Amani in diesem Interview.
Welche Herausforderungen gab es bei der Durchführung der Studie in der Fabrik?
Der Fabrikbesitzer war zunächst freundlich und hat uns willkommen geheißen. Er hat über die Beziehungen zu Leo Köhler [Anmerkung: deutscher Hersteller von Armeebekleidung, der die Bundeswehr belieferte] erzählt. Wir haben gesagt, dass wir gerne einige Arbeiter*innen über die Arbeitsbedingungen befragen würden. Daraufhin hat er den Fragebogen an sich genommen und ihn einfach selbst ausgefüllt. Natürlich mit Idealantworten, dass alles super ist. Und hat das damit kommentiert, dass die Arbeiter*innen sowieso nichts wissen würden und ungebildet seien und er das deshalb besser ausfülle. Dann haben wir ihn nach seiner Haltung zu Gewerkschaften gefragt. Er lässt nicht zu, dass sich in der Fabrik eine Gewerkschaft gründet. Er sagte, dass es überhaupt keine Notwendigkeit für eine Gewerkschaft gebe. Wenn es Problem gäbe, würden die Arbeiter*innen zu ihm kommen. Er höre ihnen schon zu.
Der Fabrikbesitzer hat uns direkten Kontakt mit den Arbeiter*innen verboten. Er hat Druck aufgebaut und deshalb konnten wir die Interviews nicht innerhalb der Fabrik führen. Wir haben aber vor der Fabrik Arbeiter*innen in ihrer Mittagspause befragt. Es war schwierig, in der kurzen Pause, in der sie auch essen müssen, genug Zeit zu finden. Die Arbeiter*innen hatten zudem Angst, Aussagen zu machen. Da der Fabrikleiter im Anschluss noch mehr Druck ausübte, war es extrem schwierig, mit den Arbeiter*innen in Kontakt zu blieben. Sie konnten deshalb nicht gefragt werden, was passiert ist, nachdem wir da waren.
Warum hatten die Arbeiter*innen so viel Angst, mit Euch zu sprechen?
Die meisten Arbeiter*innen verfügen nur über Kurzarbeitsverträge. Sie trauen sich deshalb nicht, gegen Weisungen des Fabrikbesitzers zu verstoßen, weil das ein großes Risiko mit sich bringt, dass ihre Arbeitsverträge nicht verlängert werden und sie auf der Straße landen.
Wie hat der Fabrikbesitzer auf Eure Gespräche mit den Arbeiter*innen reagiert?
Er hat uns bei der Polizei angezeigt und gesagt, wir seien Terrorist*innen. Dass wir in der Fabrik gewesen seien, um an Militäruniformen zu kommen und diese für terroristische Zwecke zu verwenden. Und das obwohl der Fabrikbesitzer uns kannte! Die Polizei uns in Monastir aufgesucht, wo wir unser Büro haben. Nach Verhören konnten wir die Vorwürfe entkräften.
Ist eine solche Reaktion eines Fabrikbesitzers üblich?
Obwohl wir uns schon lange für die Rechte der Arbeiter*innen einsetzen, haben wir eine solche aggressive Reaktion noch nicht erlebt. Die Fabrikleiter rufen zwar öfter die Polizei. Wir wurden aber noch nie beschuldigt, Terroristen zu sein.
Auch das Verhalten gegenüber den Arbeiter*innen war inakzeptabel. Er erlaubte ihnen nicht, mit uns zu sprechen. Die Gespräche haben ja in der Pause und außerhalb der Fabrik stattgefunden. Die Angestellten sind nicht seine Sklav*innen! Sie dürfen in ihrer Pause und auf öffentlichem Gelände frei sprechen, mit wem sie möchten. Und trotzdem wurden sie eingeschüchtert und beleidigt.
Die Bundeswehr hat ein Sozialaudit von TÜV Rheinland durchführen lassen, ohne Euch oder uns vorher zu informieren. Du hast ja selbst den Audit-Bericht gesehen. Für wie glaubwürdig hältst Du das Audit?
Der Fragebogen, den TÜV benutzt hat, ist ein standardisierter Fragebogen. Er ist überhaupt nicht spezifiziert auf die Textilindustrie, und auch nicht auf Tunesien. Wir haben mit TÜV bisher noch keine direkten Erfahrungen gemacht und keine Anhaltspunkte, die Arbeit zu kritisieren. Die Ergebnisse des Audits lassen aber vermuten, dass die Auditor*innen sich nicht gut mit dem Textilsektor oder den landesspezifischen Gegebenheiten auskennen. Dem Anschein nach, kann schon alles gut aussehen. Aber die Fabrikleiter kaschieren oft die Wirklichkeit. Sie wenden bestimmte Techniken an, um Arbeitsrechtsverletzungen zu verschleiern. Und nur wenn man diese Techniken kennt, kann man die Arbeitsrechtsverletzungen auch aufdecken.
Ein Beispiel ist, dass es in der Fabrik Arbeiter*innen gibt, die deutlich mehr als vier Jahr angestellt sind, aber immer noch keine Festanstellung haben, obwohl das nach tunesischem Gesetz Pflicht ist. Das ist eine Arbeitsrechtsverletzung, die auf den ersten Blick nicht sichtbar ist, aber für die Frauen gravierende Folgen hat. Wir fordern deshalb, dass an den Sozialaudits lokale Expert*innen beteiligt werden, die sich mit den spezifischen Gegebenheiten und Praktiken der Fabrikbesitzer auskennen.
Was müsste ein deutsches Unternehmen noch machen, um die Umsetzung der Arbeitsrechte zu verbessern?
Die deutschen Unternehmen haben natürlich Macht und Einfluss auf ihre Zulieferer. Deshalb sollten sie die Einhaltung der nationalen Gesetze und internationalen Mindeststandards einfordern. Dazu gehört auch, dass die Festanstellung nach vier Jahren gewährleistet wird. Natürlich sollten Sozialaudits und Kontrollen weiter stattfinden. Aber hier ist es wichtig, dass zivilgesellschaftliche Akteure eingebunden werden, die sich für die Verteidigung der Arbeitnehmerrechte einsetzen. Mindeststandards und nationale Normen sind aber nur der erste Schritt. Wenn das erreicht ist, sollten die internationalen Markenhersteller auch weitere Schritte fordern; dazu gehören existenzsichernde Löhne und der Ausbau weiterer Sozial- und Umweltstandards.
Hast Du eine Botschaft für die Bundesregierung in Bezug auf ihre Beschaffung?
Wir fordern, dass Gesetze erlassen werden, die Markenhersteller dazu zwingen, in der Produktion Menschenrechte und Umweltstandards zu implementieren. Nicht nur Unternehmen, die die öffentliche Hand beliefern, sondern alle Unternehmen, die in Deutschland ihren Sitz haben, müssen in die Pflicht genommen werden.
Es sollte sichergestellt werden, dass auch hier in Deutschland eine gerichtliche Verfolgung von Unternehmen möglich ist, in deren Lieferketten Menschenrechte verletzt werden. In Tunesien kommt es z. B. oft vor, dass die Fabriken geschlossen werden und die Arbeiter*innen ohne Abfindung dastehen. Selbst bei den Insolvenzverfahren ist es nicht mehr möglich, Geld rauszuholen, weil die Maschinen schon alle weg sind. Aber die Markenhersteller sind diejenigen, die tatsächlich über das Geld verfügen, im Gegensatz zu den Zulieferern. Die Markenunternehmen machen über Jahre hinweg viel Profit durch die ausgelagerte Produktion. Deswegen sollten sie auch für die Abfindungen zur Verantwortung gezogen werden, selbst wenn ihnen die Fabriken nicht selbst gehören. Es sollte nicht mehr möglich sein, dass sie die Verantwortung gezielt auslagern können.
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Hintergrund
Tunesien ist ein wichtiges Textil-Produktionsland. Im vergangenen Jahr arbeiteten im Textilsektor über 150.000 Menschen. Arbeitsrechtsverletzungen in den Fabriken sind die Regel: Gewerkschaften werden unterdrückt, kritische Arbeiter*innen diskriminiert, Sozialleistungen nicht gezahlt. Zudem reichen die Löhne nicht annähernd für die Lebenserhaltungskosten der Familien.