Kambodscha 2011 c Martin De Wals Will Baxter Coronakrise: Marken müssen Maßnahmen zur Unterstützung von Arbeiter*innen ergreifen Kampagne für Saubere Kleidung | Clean Clothes Campaign Germany

Coronakrise: Marken müssen Maßnahmen zur Unterstützung von Arbeiter*innen ergreifen

Die Kampagne für Saubere Kleidung stellt Forderungen an Modemarken, Einzelhändler, E-Tailer und Regierungen, um die Auswirkungen der durch die COVID-19-Pandemie verursachten Krise auf die Menschen in den globalen Lieferketten abzuschwächen. Sie fordert widerstandsfähigere Systeme zu schaffen, die zukünftig im Interesse der Arbeiter*innen funktionieren.

Einführung

Viele Jahre sind vergangen, in denen in Bezug auf die sozialen und wirtschaftlichen Rechte der Arbeiter*innen nur geringfügige Fortschritte erzielt wurden. Die Unternehmen haben sich kaum zu einer menschenrechtlichen Verantwortung verpflichtet. Als Folge trifft die COVID-19-Krise die Arbeiter*innen in den Lieferketten der Bekleidungsindustrie jetzt besonders hart. Marken, Einzelhändler und E-Tailer haben sich als unvorbereitet auf die menschenrechtlichen Auswirkungen von Krisen wie der aktuellen erwiesen. Dies hat dazu beigetragen oder sogar dazu geführt, dass die Rechte der Arbeiter*innen auf sozialen Schutz und einen angemessenen Lebensstandard verletzt wurden. Die Arbeiter*innen konnten aufgrund der Hungerlöhne keine Rücklagen anlegen und stehen nun vor existentiellen Nöten. Als Reaktion darauf sollten Marken und Einzelhändler insbesondere jetzt Maßnahmen ergreifen, um die existenzbedrohenden Auswirkungen auf die Arbeiter*innen, die ihre Kleidung herstellen, zu mildern. Gleichzeitig sollten sie den Grundstein für den dringend notwendigen Strukturwandel legen, der grundlegend einen umfassenden Sozialschutz für alle Arbeiter*innen vorsehen muss[1].

Bezahlung von Aufträgen, keine Stornierung, Fristen verlängern

Marken, Einzelhändler und E-Tailer, die in der globalen Bekleidungsindustrie tätig sind, müssen Verträge einhalten, die sie bereits unterzeichnet haben. Sie sollten öffentlich bestätigen, dass sie für alle abgeschlossenen oder in Produktion befindlichen Aufträge – d. h. die Aufträge, für die bereits Stoff bestellt oder zugeschnitten wurde – die ursprünglich vereinbarten Beträge nach dem ursprünglich vereinbarten Zeitplan bezahlen werden.

Einige Marken und Einzelhändler versuchen angeblich, sich dieser Verantwortung zu entziehen, indem sie sich auf das Prinzip der Force Majeure berufen. Die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens variiert je nach den Besonderheiten des Vertrags und der Gerichtsbarkeit, ist aber oft fragwürdig. Marken und Einzelhändler sollten sich ihrer Verantwortung stellen und nicht Vertragsbestimmungen zu höherer Gewalt missbrauchen.[2]

Sie sollten positiv auf alle Forderungen ihrer Lieferanten nach verlängerten Lieferzeiten reagieren. Sanktionen aufgrund nicht fristgerecht erfüllter Aufträge dürfen in jetzigen Zeiten keine Maßnahmen sein.

Auszahlung von Löhnen und Abfindungen

Alle Arbeiterinnen und Arbeiter in der Bekleidungs-, Textil-, Schuh- und Logistikbranche, dievor und seit der Krise beschäftigt waren und sind, sollten unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus ihre gesetzlich vorgeschriebenen Löhne und Leistungen, einschließlich der Abfindungen und Zahlungsrückstände, erhalten.

Zu diesem Zweck sollten Nothilfefonds und finanzielle Unterstützungspakete speziell für den Textil- und Bekleidungssektor mit Beiträgen von internationalen Finanzinstitutionen, Geberstaaten sowie von Marken und Einzelhändlern eingerichtet werden.

Kurzfristig sollten so schnell wie möglich Fonds eingerichtet werden, damit ausreichend Arbeitslöhne ausgezahlt werden können. Dies sollte über die effizientesten Mechanismen in jedem Land geschehen. Das schließt eine direkte zweckgebundene finanzielle Unterstützung für Arbeitgeber*innen zur Lohnfortzahlung mit ein, sollte es sich als schnellsten und einzigen Weg herausstellen.

Wo auch immer dies möglich ist, soll damit gewährleistet werden, dass Beschäftigungsverhältnisse und Löhne aufrechterhalten bzw. bisherig entlassene Arbeiter*innen wiedereingestellt werden können. Weiterhin sollten direkte Einkommensunterstützungen denjenigen Arbeiter*innen zur Verfügung gestellt werden, die einerseits nicht durch einen Arbeitgeber bezahlt werden können und andererseits nachweislich keine adäquaten staatlichen Leistungen im Fall ihrer Arbeitslosigkeit erhalten.

Genauso sollten Mittel für die Auszahlung von Abfindungen zur Verfügung gestellt werden. Viele Arbeiter*innen, die jetzt krisenbedingt entlassen werden mussten, erhalten derzeit nicht die ihnen gesetzlich zustehenden Vergütungen. Die Mittel sollten in die durch die Bemühungen von Marken, Regierungen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft aufgedeckten Fälle fließen.

Es braucht einen unabhängigen und transparenten Kontrollmechanismus in jedem Produktionsland. Es muss überprüft werden können, ob die den Arbeiter*innen zustehenden Gelder von Arbeitgebern und/oder Regierungen ordnungsgemäß ausgezahlt wurden. Nothilfe- und finanzielle Unterstützungspakete erfordern spezifische, detaillierte, transparente und zeitlich begrenzte Zusagen der Empfängerregierungen, damit die Gelder schnell und sicher an die betroffenen Arbeiter*innen und ihre Familien gelangen können.

Gesundheit und Sicherheit der Arbeiter*innen und öffentliche Gesundheit

Diejenigen Unternehmen und Arbeiter*innen, die während der Pandemie weiterarbeiten oder die Produktion wieder aufnehmen, müssen sich an die Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation halten und sich bemühen bewährte Schutzmaßnahmen, die in den Leitlinien des US-Zentrums für Krankheitskontrolle und -verhütung für Unternehmen dargelegt sind, zu befolgen. Nur so kann die Verbreitung von COVID-19 an den Arbeitsplätzen und in den Gemeinden verhindert werden.

Alle ILO-Schutznormen für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit müssen eingehalten werden. Dabei muss der persönlichen Schutzausrüstung (PSA), der physischen Distanzierung, dem Recht auf Entfernung aus der Gefahr und den Mechanismen der Arbeiter*innenbeteiligung sowie gegebenenfalls der Anpassung der Transportsysteme besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

Beschäftigte in der Bekleidungsindustrie, die weiterhin arbeiten und bei der Erbringung wesentlicher Dienstleistungen, einschließlich der Produktion von Gesichtsmasken und anderen wichtigen Textilprodukten, Risiken ausgesetzt sind, sollten zusätzlichen Arbeitsschutz erhalten. Geschützte Kinderbetreuungseinrichtungen oder Kinderbetreuungszulagen, Krankenversicherung und Gefahrenzulage gehören ebenso dazu.

Recht auf Arbeitsverweigerung

Arbeiter*innen, die aufgrund von COVID-19-Risiken aufhören zu arbeiten, dürfen während der Krise nicht von Arbeitslosigkeit, Abfindungen oder anderen wirtschaftlichen Rechten und Leistungen ausgeschlossen oder mit dem Verlust von Verträgen oder Arbeit bestraft werden, wenn die Krise abklingt. Fabrikbesitzer*innen sollten gegenüber den Arbeiter*innen das Recht aussprechen, mit COVID-19-Symptomen zu Hause bleiben zu dürfen, ohne Jobverlust oder Lohnverweigerung als Konsequenz.

Wenn Regierungen Sperrverfügungen eingeführt haben, sollten sich die Zulieferer an die Maßnahmen der örtlichen Regierung halten und die Beschäftigten klar darüber informieren und respektieren, dass Entlassungen wegen „Abwesenheit“ der Beschäftigten während der Sperrzeit illegal sind. Finanzielle und logistische Unterstützung für Reisen in die Heimatstädte (in Fällen, in denen Fabriken vorübergehend geschlossen werden) sollte bereitgestellt werden.
Bei der Wiedereröffnung von Fabriken müssen unverzüglich spezifische Pläne für den Arbeitsschutz umgesetzt werden. Dazu gehören, dass Beschäftigte oder deren Angehörige mit COVID-19-Symptomen bezahlten Krankheitsurlaub nehmen dürfen und Arbeitgeber eine Richtlinie erarbeiten, die eine sofortige Schließung der Fabrik bei ersten auftretenden Infektionsfällen ermöglicht.

Soziale Absicherung

Die Regierungen in den Bekleidungsproduktionsländern müssen unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um Mindestleistungen an Sozialschutz einzuführen und aufrechtzuerhalten und die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit zu verbessern. Diese sollten mit den IAO-Normen in Einklang gebracht werden, u. a. Versicherungen für Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfälle und Krankenheit. Die Regierungen müssen mit den Herstellern zusammenarbeiten, um eine transparente Kostenteilung zu schaffen.

Die Marken müssen in diese Sozialschutzsysteme durch eine Prämie auf die FoB oder einen anderen zu vereinbarenden, nachvollziehbaren Kostenteilungsmechanismus einzahlen.
Nothilfe- und finanzielle Unterstützungspakete, die im Zuge der COVID-19-Krise bereitgestellt werden, sollten mit der Einrichtung und Umsetzung von Mindestnormen für den Sozialschutz und andere Systeme der sozialen Sicherheit verbunden sein., Das beinhaltet, dass die IAO-Prinzipien der menschenwürdigen Arbeit, des Sozialschutzes und des Dreigliedrigkeitsprinzips bei der Gestaltung und den Kriterien mit aufgenommen werden.

Finanzielle Unterstützungspakete, die den Marken und Einzelhändlern in ihren Heimatländern zur Verfügung gestellt werden, sollten mit der Kostenteilung und der Gewährleistung dieser Grundsätze in ihren Lieferketten verbunden sein.

Rückkehr und Erholung nach einer Pandemie

Die Industrie als Ganzes muss sich dazu verpflichten, nachhaltigere und widerstandsfähigere Industrien und Lieferketten aufzubauen. Beim Wiederaufbau widerstandsfähigerer Versorgungsketten sollten Marken und Einzelhändler sicherstellen, dass die Zulieferer den Beschäftigten existenzsichernde Löhne und Sozialleistungen zahlen.

Marken, Einzelhändler und E-Tailer werden das derzeitige Preismodell und das zugrunde liegende Geschäftsmodell überdenken und ändern müssen. Zu diesen Veränderungen gehört eine Auftragsstabilität, die eine ordnungsgemäße Planung, rechtzeitige Zahlungen von Bestellungen und die volle Achtung der Rechte der Arbeiter*innen ermöglicht. Dazu gehört auch ein Kostenrechnungsmodell, das alle Kosten für die Einhaltung der Sozialvorschriften abdeckt: von existenzsichernden Löhnen und Leistungen bis hin zum Sozialschutz und der Sicherheit der Arbeiter*innen.

Als unmittelbarer Schritt erfordert dies, dass Marken, Einzelhändler und E-Tailer in künftigen Verträgen auf nachhaltige Praktiken setzen, die Vertragslaufzeiten verlängern und faire Zahlungspläne aufstellen. Weiterhin sollten sie durchsetzbare Verpflichtungen eingehen, um zur Finanzierung von Sozialschutzsystemen beizutragen, und zwar in Bezug auf Arbeitslosengeld und/oder Abfindungen, Krankengeld und einer Arbeitsunfallversicherung[3].

Zu diesem Zweck müssen Mechanismen zur Kostenteilung entwickelt werden, sei es in Form einer Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, durch Steuern oder durch eine Beitragsprämie auf ihre Anordnung. Ein Teil dieser Zahlungen sollte für die Einrichtung eines unabhängigen Fonds verwendet werden, der für die von Staaten/Arbeitgebern ausstehenden Lohn-, Leistungs- und Abfindungszahlungen verwendet werden könnte.

Verantwortungsvolle Ausstiegspläne von Marken und Einzelhändlern als Reaktion auf COVID-19 sollten als vorübergehend betrachtet werden und eine Diskussion über die Rückkehr zu den Lieferanten nach Abklingen der Krise beinhalten. Die Rückkehr in die Länder und Zulieferbetriebe sollte davon abhängig gemacht werden, ob diese ihrer Verantwortung gegenüber den Beschäftigten während der Krise nachkommen. Es muss auch davon abhängig sein, ob diese die Beschäftigten bei der Wiedereröffnung der Fabriken gemäß den Grundsätzen der IAO-Empfehlung 166 und unter den oben genannten Bedingungen (Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit, sozialer Schutz und Löhne) wieder einstellen werden.

Staaten, die die Hauptsitze der führenden Unternehmen beherbergen, sollten eine wirksame ordnungspolitische Reform des Handelsrechts zur Regelung unlauterer Geschäfts- und Handelspraktiken durchführen, die zu Menschenrechtsverletzungen in ihren globalen Lieferketten führen.

Regierungen sollten auch Gesetze zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht verabschieden, um die Unternehmen zur Einhaltung der Menschenrechte in ihren Betrieben und Lieferketten zu verpflichten.

Hintergrundinformationen:

[1] Worker Rights Consortium: White paper: Who will bail out the workers that make our clothes?

[1 & 2] ECCHR: Garment supply chains in intensive care? Human rights due diligence in times of (economic) crises

[2] Center for Global Workers’ Rights (CGWR): Abandoned? The Impact of Covid-19 on Workers and Businesses at the Bottom of Global Garment Supply Chains

[3] Traidcraft Exchange: Bailing out the supply chain – Covid-19 and the impact for workers in supply chains

Kontakt:

Artemisa Ljarja, Eilaktionskoordinatorin der Kampagne für Saubere Kleidung
Mobil: +49 (0) 1788233079
Email: eilaktionen@saubere-kleidung.de

 

Beitragsbild: Kambodscha © Martin De Wals Will Baxter
Coronakrise, Covid-19, Forderungen, Unternehmensverantwortung

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