Tunesien c FEMNET „Verantwortung, Partnerschaft, Kooperation – wo sind diese Worte hin in Zeiten von Corona?“ Kampagne für Saubere Kleidung | Clean Clothes Campaign Germany

„Verantwortung, Partnerschaft, Kooperation – wo sind diese Worte hin in Zeiten von Corona?“

So fragt der Vize-Präsident des Verbands der Textil- und Bekleidungsunternehmen in Tunesien, Nafaa Ennaifer. Angesichts wegbrechender Aufträge aus Europa ist diese Frage drängender denn je. Textil- und Bekleidungsunternehmen aus Europa, die zu den wichtigsten Auftraggebern vieler Produzenten in asiatischen und auch afrikanischen Ländern gehören, leiden aktuell selbst massiv unter den Corona-bedingten Schließungen im stationären Handel und Rückgängen im Online-Handel. Um die Krise abzufangen, stornieren sie Aufträge und versuchen zumindest teilweise auch, sich aus bereits laufenden Aufträgen zurückzuziehen. Liveblogs der internationalen Kampagne für Saubere Kleidung, des Textilbündnisses oder der internationalen Gewerkschaften informieren zeitnah über die Auswirkungen, die die Corona-Maßnahmen auf die Betriebe und ihre Beschäftigten haben. Dabei stehen im Textilsektor vor allem asiatische Länder im Fokus, weil sich dort die global wichtigsten Textil- und Bekleidungsexporteure befinden.

Doch auch auf dem afrikanischen Kontinent werden zunehmend Textilien, Bekleidung und Schuhe für den Weltmarkt produziert. Äthiopien und Tunesien sind hierfür beispielhaft: Die Textilindustrie in beiden Ländern richtet sich stark auf Exporte nach Europa aus. Es ist also zu erwarten, dass sie die Auswirkungen der ökonomischen Folgen von Corona in Europa ebenfalls zu spüren bekommt. Ein Blick nach Tunesien zeigt, dass diese Folgen schon jetzt dort ankommen.

Covid-19 in Tunesien

Obwohl Tunesien aktuell (06.04.2020) laut Statistik der Johns Hopkins Universität knapp 600 offiziell gemeldete Corona-Infizierte angibt, sind die Textilfabriken aus Sicherheitsgründen bereits seit dem 21.03.2020 geschlossen. Dies sollte zunächst bis zum 04. April gelten, wurde dann aber bis zum 19. April verlängert. Zwar gehören nach Angaben der Fair Wear Foundation zu den Regierungsmaßnahmen im Umgang mit der Corona-Krise auch Unterstützungsmaßnahmen für Beschäftigte (u.a. Stundung von Steuerzahlungen, Sozialbeiträgen und Schuldendienst für Beschäftigte, die weniger als 1.000 TND pder 314 Euro pro Monat verdienen) und auch die Europäische Union sowie Italien unterstützen die Regierung in der Bewältigung der Krise finanziell mit 250 Mio. Euro bzw. 50 Mio. Euro.

Doch auch das Verhalten der europäischen Auftraggeber spielt eine entscheidende Rolle insbesondere für die tunesische Textil- und Bekleidungsindustrie. Laut Fair Wear Foundation arbeiten in Tunesien rund 250.000 Menschen in der Textilindustrie. Viele der knapp 2.000 Fabriken produzieren ausschließlich für den Export. Der Textilsektor hat einen Anteil von rund einem Fünftel an allen tunesischen Exporten. Die fünf wichtigsten Zielländer der tunesischen Textil- und Bekleidungsexporte sind laut Statistik der Weltbank Frankreich, Italien, Deutschland, Belgien und Spanien. Europäische Modeunternehmen, aber auch Berufsbekleidungshersteller, lassen in Tunesien produzieren. Für bereits erteilte Aufträge sind tunesische Hersteller in Vorleistung getreten. Ein Strickwarenhersteller kaufte zum Beispiel bereits für mehrere Millionen Euro Garn ein, um daraus Strickwaren zu produzieren, und steht jetzt vor der Unsicherheit, ob er eventuell auf den Kosten sitzenbleibt, falls seine Kunden ihre Aufträge stornieren. Während des angeordneten Lockdowns, so der Verband der Textil- und Bekleidungsunternehmen Tunesiens, würden die Löhne für die Beschäftigten in den Textil- und Bekleidungsfabriken weitergezahlt – aber nur für März. Für April sprach der oben schon zitierte Vize-Präsident des Verbandes von faktischer Arbeitslosigkeit. In diesem Kontext betont er mit Blick auf die Auftraggeber: „Es ist verständlich, dass diese Unternehmen sich auf die Bedürfnisse ihrer eigenen Beschäftigten konzentrieren. Sie müssen aber auch akzeptieren, dass sie, wenn sie ein Geschäftsmodell wählen, das auf der Arbeitsleistung von Millionen von Arbeiter*innen in anderen Ländern basiert, diese Arbeiter*innen auch ihre Arbeiter*innen sind.“

Unternehmerische Sorgfaltspflichten in Zeiten von Corona

Damit spricht Ennaifer die Unternehmensverantwortung der Auftraggeber für ihre Lieferketten an. Und diese pausiert nicht in Krisenzeiten. So verständlich es ist, wenn Auftraggeber, die selbst in Schwierigkeiten geraten, zukünftige Aufträge zurückhalten, so wichtig ist es jedoch, bereits fertiggestellte Ware abzunehmen oder angefallene Kosten für bereits begonnene Aufträge zu erstatten. Ein kooperativer Umgang mit Zulieferern hilft den Geschäftspartner*innen, die Krise zu bewältigen und kann dazu beitragen, Lohnausfälle für Beschäftigte zu vermeiden. Für die europäischen Auftraggeber, die sich zum Beispiel als Mitglieder des Textilbündnis auf die Wahrnehmung unternehmerischer Sorgfaltspflichten verpflichtet haben, sollte dies handlungsleitend sein. Eine der Aufgaben für Organisation wie SÜDWIND oder die CCC wird es sein, genau zu beobachten, welche Unternehmen ihre unternehmerischen Sorgfaltspflichten wahrnehmen und welche nicht. Dies werden wir mit Blick auf Afrika auch auf dem EU-Afrika-Blog weiterverfolgen und kommentieren.

 


von Sabine Ferenschild, SÜDWIND INSTITUT


 

Beitragsbild: © FEMNET
Corona News, Sorgfaltspflicht, Tunesien, Unternehmensverantwortung

Ähnliche Beiträge