Es ist gerade eine Woche her, dass US-Präsident Trump neue Zölle gegen zahlreiche Länder der Welt angekündigt hat, die noch im April 2025 greifen sollten. Gerade beschlossen u.a. China und die EU Gegenzölle, da verkündete Trump via Social Media eine 90 Tage-Pause diverser Zölle für Einfuhren in die USA neben Verschärfungen gegenüber China – nachdem er vorher empfohlen hatte, kräftig an der strauchelnden Börse zu investieren. Dennoch steht die Drohung der Zolleskalation nun im Raum – und gefährdet Textilarbeiter*innen weltweit.
von Sabine Ferenschild, Jiska Gojowczyk
Die Debatte in Deutschland konzentriert sich primär auf die Folgen der jüngst verkündeten US-Zölle für die deutschen Autokonzerne oder vielleicht noch auf den eskalierenden Handelskrieg China – USA. Doch unter den von den exorbitant hohen Zöllen betroffenen Ländern sind alle wichtigen Textilien exportierenden Länder der Welt und damit auch die wichtigsten Lieferländer von Textilien in die USA. Marken in Deutschland wie Puma oder Adidas sind unmittelbar von der unsicheren Situation betroffen: einerseits durch die steigenden Kosten, wenn etwa in Vietnam oder Indonesien produzierte Ware in die USA verkauft wird, andererseits durch die Reaktionen der Anleger*innen an der Börse, welche auf die täglichen politischen Ankündigungen reagieren.
Die Gefahr ist groß, dass die großen Bekleidungs- und Schuhhandelsunternehmen steigende Kosten und Risiken des sich entfachenden Handelskriegs so weit möglich auf ihre Zulieferer und diese wiederum auf ihre Beschäftigten abwälzen werden. Während der Corona-Pandemie konnte diese Entwicklung wie im Brennglas dokumentiert werden. Beschäftigte waren mit nicht ausgezahlten Löhnen, Massenentlassungen, daraus folgender Verschuldung und Verschlechterungen von Arbeitsgesetzgebungen der konkurrierenden Produktionsländer konfrontiert und müssen bis heute die Folgen dieser Zeit bewältigen. In der aktuellen Situation darf sich dieses Muster nicht wiederholen.
Einige Marktdaten
Im Jahr 2024 importierten die USA Textilien im Wert von mehr als 100 Mrd. US-Dollar. Das wichtigste Lieferland war China mit einem Anteil von knapp 30 % an den US-Textilimporten (s. Tabelle). Aber auch die meisten anderen der wichtigsten zehn Textilhandelspartner der USA lagen im Globalen Süden: Vietnam, Indien, Bangladesch, Mexiko, Indonesien, Kambodscha, Pakistan und Honduras. Nur Italien auf Platz 10 der TOP 10 – Liste ist eine Ausnahme. Zwar haben diese Länder – mit Ausnahme von China und Vietnam – nur einen jeweils einstelligen Prozentanteil an den US-Textilimporten, doch blickt man aus der Perspektive der Länder, sieht die Lage anders aus: Zwischen 20% und knapp 87 % liegt der Anteil der Textilexporte in die USA an den Gesamttextilexporten von China, Vietnam, Indien, Bangladesch, Mexiko, Indonesien, Kambodscha und Pakistan. Die neuen US-Zölle, die zwischen 10 % und 49 % schwanken, treffen die Textilsektoren dieser Länder deshalb hart.
TOP 10 Handelspartner der US-Textilimporte
Quelle: Eigene Darstellung nach US-Import-Data; WITS; für eine grafische Darstellung der Zölle des ZDF siehe hier.
Dementsprechend alarmiert sind die Reaktionen: In Vietnam wird von „schockierenden“ Zöllen gesprochen, in Bangladesch werden „katastrophale Konsequenzen“ für die Textilindustrie, die knapp 90 Prozent der nationalen Exporte ausmacht, gefürchtet.
Aber auch Länder in Afrika wie Lesotho oder Madagaskar, die nicht in den Top 10 Listen des Textilsektors auftauchen, haben enorme Verluste im Textilsektor durch die hohen US-Zölle zu befürchten. Und diese Verluste sind nicht einfach abstrakte Marktanteile, sondern verbunden mit konkreten Jobs, von denen viele Millionen Menschen weltweit leben.
Um die Auswirkungen zu verstehen, die die nun für 90 Tage ausgesetzten US-Zölle auf die Millionen Textilarbeiter*innen im Globalen Süden haben können, muss man wissen, dass sich die Textilindustrie in den letzten Jahrzehnten zu einem globalen Produktionsnetzwerk mit einem Fokus in Asien und einigen regionalen Produktionsnetzwerken in Mittelamerika und im Mittelmeerraum in der Nähe der Hauptabsatzmärkte USA und EU entwickelt hat. Eine zentrale Rolle hierbei spielt China, dessen Textilunternehmen in vielen Ländern vor allem Asiens und Afrikas Textilfabriken betreiben und das zugleich viele textile Vorprodukte für die Weiterverarbeitung in anderen Ländern liefert.
Lange haben Industriestaaten wie die USA und Mitglieder der EU versucht, die Globalisierung dieser Industrie mit Handelsbeschränkungen zu verhindern. Dies ist nicht gelungen, weil der Textilsektor weitgehend auf sehr niedrigen Arbeitskosten aufgebaut ist. Die Aufträge werden von den europäischen und US-amerikanischen Handelsunternehmen dorthin vergeben, wo Arbeits- und Produktionskosten niedrig sind. Die Handelsunternehmen kalkulieren mit knappen Margen, was dazu führt, dass jede Lohnerhöhung im Produktionsland oder jede Verschiebung bei Zollvergünstigungen zur Verlagerung der Aufträge in ein günstigeres Produktionsland führen kann.
Das Absurde an Trumps Interpretation des Handelsdefizits
Den US-Zöllen liegt die Interpretation zugrunde, dass das Handelsdefizit der USA mit Produktionsländern des Textilsektors “ungerecht” für die USA sei. Die Lesart erscheint jedoch sowohl in historischer als auch gegenwärtiger Betrachtung als absurd. Das Handelsdefizit beruht gerade auf dem Umstand global ungerechter Verteilung von Wohlstand. In den USA wie auch in Deutschland können sich viele Bürger*innen 100 US $ teure Turnschuhe leisten. Die Breite der Bevölkerung in den Produktionsländern kann dies hingegen nicht. Diese Ungleichheit hat nicht zuletzt ihren Ursprung in kolonialen Ausbeutungsbeziehungen, die in den letzten Jahrzehnten nicht aufgelöst wurden. Das Ungleichgewicht zwischen den Volkswirtschaften ist auch ein Umstand, auf den die zehn Wirtschaftsminister der ASEAN Staaten am 10. April verwiesen, als sie in einem Statement um „Großherzigkeit” im Umgang mit den am „wenigsten entwickelten Ländern” der Region baten.
Wenn Unternehmen heute in Ländern wie Indonesien ihre Waren produzieren, nutzen sie das geringere Lohnniveau. Die großen Importzahlen in die USA entstehen über die Masse an Waren und extrahierten Rohstoffen, die billig hergestellt oder abgebaut werden. Ursächlich sind nicht etwaige Gewinnmargen in diesen Ländern, welche den Bevölkerungen zugutekämen. Die größte Wertschöpfung etwa in der Textil- und Schuhproduktion wird nach wie vor in den Stufen vor und nach der Produktion erreicht, etwa bei Design, Werbung und Verkauf – und damit in Ländern wir den USA. Die Markenunternehmen profitieren also von günstigen, oft ausbeuterischen Werkbänken für Produkte, die sie dann in liquiden Konsummärkten verkaufen können.
Und damit sind wir in der aktuellen Situation:
Wenn die USA nun gegen Bangladesch deutlich höhere Zölle verhängen als zum Beispiel gegen Indien, könnte Indien im Rahmen des allgemeinen Zoll-Desasters von Auftragsverlagerungen aus Bangladesch profitieren. Eine Folge der unterschiedlichen Zollhöhen ist also, dass die Länder des Globalen Südens letztlich gegeneinander ausgespielt werden. Länder mit höheren US-Zöllen werden das Nachsehen haben – und damit auch die dortigen Beschäftigten. Wünschenswert wäre ein gemeinsames Auftreten der betreffenden Produktionsländer, wie es im Statement der Wirtschaftsminister des ASEAN-Raums den Anschein machte. Dabei wurde unter anderem der Wunsch zu weiterer wirtschaftlicher Integration in der Region und gemeinsamen Verhandlungen mit den USA ausgedrückt. Die Gefahr ist jedoch groß, dass vor dem Hintergrund großer ökonomischer Abhängigkeiten Nationalregierungen diesem Kurs nicht folgen, wie sich etwa durch die bilateralen Verhandlungen zwischen Vietnam und den USA abzeichnet. Auch Kambodscha, wo Bekleidung, Reiseartikel und Schuhe die wichtigsten Exportprodukte in die USA sind, wurde mit 49 % hohen Zöllen besonders hart adressiert, und die Regierung machte prompt ein Verhandlungsangebot, welches niedrigere Zölle etwa für US-amerikanisches Rindfleisch vorsieht.
Globale Ungleichheit würde so nicht abgebaut, sondern weiter befördert. Es ist außerdem wahrscheinlich, dass nicht die Verbraucher*innen in den USA oder Europa für die gestiegenen Zölle bezahlen müssen oder Ausschüttungen an Investor*innen niedriger ausfallen (siehe z. B. die Dividendenausschüttung von Adidas 2020 und 2021), sondern dass die großen Handelsunternehmen auf ihre Zulieferer Druck ausüben, um die Einkaufspreise merklich zu senken. Von den ersten Handelsunternehmen wird genau dies bereits berichtet. Da die Textilproduzenten in vielen Ländern schon während der Corona-Pandemie durch stornierte Aufträge und nicht-angenommene Waren massiv in Mitleidenschaft gezogen wurden, steht zu befürchten, dass die beauftragenden Handelsunternehmen nun ähnlich verfahren: Erst einmal Ware zurückhalten, nicht Richtung USA verschiffen, warten, bis sich die Lage klärt – und bis dahin nicht bezahlen. Zahllose Textilarbeiter*innen verloren deshalb ihre Arbeitsplätze oder erhielten ihre Löhne nicht ausgezahlt. Viele mussten sich verschulden, um überleben zu können. Darauf hat die Kampagne für Saubere Kleidung immer wieder hingewiesen und verantwortungsvolle Einkaufspraktiken angemahnt.
Aus den Beobachtungen der jüngsten Vergangenheit muss gelernt werden:
Von allen Auftraggebern in Europa, von Adidas bis Zalando, muss erwartet werden, dass sie die US-Zölle, die ihre Exporte in die USA treffen, nicht auf dem Rücken der Beschäftigten einpreisen, sondern sie dort aufschlagen, wo sie entstehen: bei den Verbrauchspreisen in den USA. Geschäftsmodelle, die kurzfristige Ausschüttungen statt nachhaltige Rücklagen nahelegen, müssen in Zeiten großer Unsicherheiten und einer hohen Wahrscheinlichkeit immer neuer Krisen und wirtschaftlicher Stress-Momente gesellschaftlich kritisch diskutiert und hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Einhaltung von Menschenrechten weltweit reguliert werden.
Beitragsbild: © Foto: Government of India (GODL)