OECD-Beschwerde gegen TÜV Rheinland: Rana Plaza-Prüfbericht Arbeitsbedingungen und Sicherheitsrisiken nicht moniert

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat heute zusammen mit Betroffenen des Einsturzes des Fabrikkomplexes Rana Plaza in Dhaka (Bangladesch), den Organisationen FEMNET und medico international sowie den Gewerkschaften Garment Workers Unity Forum und Comrade Rubel Memorial Center aus Bangladesch eine OECD-Beschwerde gegen das deutsche Zertifizierungsunternehmen TÜV Rheinland eingelegt.

Die Organisationen reichten die Beschwerde bei der nationalen Kontaktstelle der OECD im Bundesministerium für Wirtschaft wegen eines unzureichenden Prüfberichts über eine Produktionsstätte im Fabrikkomplex Rana Plaza ein.

Der Prüfbericht von TÜV Rheinland

Wenige Monate vor dem Einsturz von Rana Plaza am 24. April 2013, bei dem mehr als 1.130 Menschen – unter ihnen mindestens 39 Kinder – starben, hatte TÜV Rheinland dort die Produktionsstätte der Textilfabrik Phantom Apparel Ltd. im Rahmen eines sogenannten Social Audits geprüft. Eine der Beschwerdeführerinnen war zum Zeitpunkt des Einsturzes 14 Jahre alt und als Näherin bei Phantom Apparel beschäftigt. Sie lag neun Stunden unter den Trümmern, bevor Helfer sie fanden. Ihre Wirbelsäule wurde schwer verletzt, bis heute leidet sie physisch und psychisch an den Folgen des Unglücks.

Die Organisationen werfen TÜV Rheinland vor, professionelle Prüfstandards außeracht gelassen zu haben. So zeige der Bericht massive Menschenrechtsverletzungen wie Kinderarbeit, Diskriminierung von Frauen, das Fehlen von Gewerkschaften und verpflichtende Überstunden nicht auf. Auch wenn der TÜV nicht den Auftrag hatte, die Statik der Fabrik zu prüfen, so stellt sich doch die Frage, wieso in dem Bericht die Bauqualität des Gebäudes sogar als gut bezeichnet wird.

Es ist davon auszugehen, dass sowohl die Fabrik- und Gebäudebesitzer als auch die westlichen Textilhändler, die in dem Gebäude produzieren ließen, auf die Aussagen des Berichts vertrauten. Der Prüfbericht sei daher Grundlage dafür gewesen, dass die Firmen keine wirkungsvollen Maßnahmen gegen Kinderarbeit, Diskriminierung von Frauen, das Fehlen von Gewerkschaften und Überstundenzwang trafen.

Die Beschwerdeführer sind daher der Meinung, TÜV Rheinland habe durch seinen Bericht zu Verletzungen der Menschenrechte der ArbeiterInnen beigetragen und mithin gegen die OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen verstoßen.

Social Audits sind Momentaufnahmen und wenig tauglich

TÜV Rheinland führte das Audit auf Grundlage des Prüfstandards der Business Social Compliance Initiative (BSCI) durch. Diese Unternehmensplattform beruft sich unter anderem auf die Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und soll unter anderem dazu dienen, Sicherheits- und Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern zu überwachen und zu verbessern. Nach Aussage von TÜV Rheinland ist Gebäudesicherheit nicht Bestandteil dieses Standards, bei offensichtlichen Mängeln sollen die Auditoren jedoch unverzüglich Betreiber und Auftraggeber informieren.

Nach Auffassung der Beschwerdeführer ist der Fall symptomatisch für die Untauglichkeit von Social Audits, Arbeitsbedingungen wahrheitsgetreu zu erfassen, geschweige denn zu verbessern. Trotz zahlreicher Audits, Prüfberichte und Zertifikate haben sich die Arbeitsbedingungen in den Zulieferketten der globalen Textilindustrie in den vergangenen 20 Jahren nicht verbessert.

Oft liefern die Social Audits lediglich Momentaufnahmen einer Arbeitssituation, die die Fabrikbesitzer leicht manipulieren können, insbesondere wenn die Besuche – wie meist der Fall – angekündigt werden. Aufgrund eines hohen Ausmaßes an Korruption sind auch gefälschte Dokumente keine Ausnahme. Das Festhalten an diesem System trägt dazu bei, dass die europäischen Abnehmerfirmen den Anschein erwecken können, „etwas zu tun“, die endemischen Probleme in der Lieferkette tatsächlich aber verstärkt werden. Letztlich wird der Anschein einer funktionierenden, unabhängigen Kontrolle der Lieferkette erweckt. Das verhindert, dass die verantwortlichen Akteure – Fabrikbesitzer, Hersteller, Händler, aber gerade auch Regierungen – effektive Mechanismen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen entwickeln.

Die Beschwerdeführer fordern von TÜV Rheinland, sich gemeinsam mit der BSCI für eine branchenweite und grundlegende Veränderung der Fabrikkontrollen einzusetzen. Ziel müssen gewerkschaftsgestützte Zertifizierungen sein, die veröffentlicht werden und die bei Unfällen aufgrund fehlerhafter Prüfberichte Schadensersatzansprüche für die Betroffenen vorsehen.

Grundsätzlich ist es primäre Pflicht der Staaten, die Arbeitsplatzsicherheit zu kontrollieren, Verletzungen von Sicherheitsbestimmungen zu sanktionieren und demokratische Gewerkschaften zu fördern. Abgesehen von einer grundlegenden Reform des gesamten Zertifizierungswesens durch Unternehmen und Regierung der Produktionsländer müsste daher die Bundesregierung verbindliche Haftungsregelungen für Audit-Unternehmen einführen und klare gesetzliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen im Bezug auf Zulieferbetriebe schaffen.

Den Unternehmen ist es auch unbenommen, in ihren Produktionsstätten Richtlinien einzufordern, die über den örtlichen Standards liegen. Aus Sicht des ECCHR und der anderen Organisationen besteht eine unternehmerische Verantwortung, die sich nicht zuletzt aus den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte ergibt.

Diese Punkte wollen die Beschwerdeführer mit TÜV Rheinland im sogenannten OECD-Mediationsverfahren diskutieren. Voraussetzung dafür ist, dass das Wirtschaftsministerium die Beschwerde zur weiteren Prüfung annimmt.

OECD-Beschwerden als juristisches Mittel: Interventionen bei den Nationalen Kontaktstellen für die Leitsätze für multinationale Unternehmen

Jede natürliche oder juristische Person kann – auch ohne selbst betroffen zu sein – bei einer Nationalen Kontaktstelle (NKS) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Beschwerde über die Verletzung der Leitsätze für Multinationale Unternehmen einreichen. Diese OECD-Leitsätze verpflichten Firmen aus den Unterzeichnerstaaten, bei ihren Auslandsgeschäften internationale Menschenrechtsstandards zu wahren. Zuständig für eine Beschwerde ist die Kontaktstelle des Landes, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat oder in dem es tätig ist. Die NKS hat keine Sanktionsmöglichkeiten, sondern bemüht sich um eine Mediation zwischen den BeschwerdeführerInnen bzw. Betroffenen und dem Unternehmen. Kommt es zu keiner Einigung, kann die Kontaktstelle das Verhalten des Unternehmens in einem Abschlussbericht bewerten.

Weitere Informationen auf der Webseite des ECCHR

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