Die Kampagne für Saubere Kleidung erklärt ihre Solidarität mit den Bekleidungsarbeiter*innen und allen Arbeitnehmer*innen in der Ukraine während der russischen Invasion. Wie jeden Akt der Aggression, Invasion und Krieg verurteilen wir den Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine.
Wir unterstützen jede ernsthafte, diplomatische und politische Initiative, institutionell und an der Basis, die darauf abzielt, eine Eskalation dieses Konflikts zu verhindern und den Truppenabzug aus den besetzten Gebieten herbeizuführen. Der Krieg hat bereits Arbeiterinnen und Arbeiter wie auch die Zivilbevölkerung in Europa und darüber hinaus beeinträchtigt.
Wir protestieren gegen die Aufhebung des Arbeitnehmer*innenschutzes und der Gewerkschaftsrechte. Sie betreffen insbesondere die Bekleidungsfabriken als kleine und mittelständische Unternehmen. Unter den Bedingungen einer schweren wirtschaftlichen und sozialen Krise untergraben die neuen Gesetze die grundlegenden Arbeitsrechte.
Die Kampagne für Saubere Kleidung (CCC) hat ihre Solidarität mit den Bekleidungsarbeiter*innen und allen Arbeitenden in der Ukraine während der russischen Invasion erklärt.
Recherchen der CCC im Jahr 2020 ergaben, dass die etwa 200.000 ukrainischen Textilarbeiter*innen nur ein Fünftel der grundlegenden Lebenshaltungskosten (eines existenzsichernden Basislohns) verdienen, oft nicht einmal den monatlichen Mindestnettolohn von 126 EUR (2019). Viele dieser Beschäftigten werden eingeschüchtert und gedemütigt, zu Überstunden gezwungen, fallen im Sommer am Arbeitsplatz in Ohnmacht und frieren im Winter – um nur die am weitesten verbreiteten Verstöße zu nennen. Genaue Beschäftigtenzahlen für die Bekleidungsindustrie sind nicht verfügbar, da die Schattenwirtschaft in diesem Sektor besonders verbreitet ist; etwa 70 % der Beschäftigten in der Textilindustrie arbeiten informell (Stand 2020). Diese Situation verschlimmerte sich während der Pandemie, als Löhne und Sozialversicherung nicht gezahlt wurden; viele Arbeiter*innen wurden in unbezahlten Zwangsurlaub geschickt oder entlassen.
Im Frühjahr 2022 führte die CCC eine informelle Umfrage bei Marken durch, die in der Ukraine ordern, und die meisten von ihnen gaben an, dass sie weiterhin Aufträge an ihre ukrainischen Lieferanten vergeben und die Fabriken in Betrieb sind. Die Bekleidungsindustrie konzentriert sich auf den westlichen Teil des Landes und ist daher weniger von Kriegshandlungen betroffen. Die CCC forderte die Marken auf, erhöhte Sorgfalt und Verantwortung bezüglich der Beachtung von Menschenrechten bei der Arbeit walten zu lassen.
Gerade in einem Krieg und der damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Krise brauchen die Arbeiter*innen Schutz
Im Jahr 2020 haben sich die ukrainischen Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft erfolgreich gegen Versuche gewehrt, Arbeitsrechte und Tarifverhandlungen aufzuweichen. Unter dem Deckmantel des Kriegsrechts verabschiedete die ukrainische Regierung nun Gesetze, die erneut darauf abzielen, die Vereinigungsfreiheit und die Arbeitnehmerrechte zu untergraben. Gewerkschaften in der Ukraine sowie die Internationale Arbeitsorganisation IAO, der Internationale Gewerkschaftsbund IGB und andere Globale Gewerkschaften lehnen diese Gesetzesänderungen ab. Insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) mit weniger als 250 Beschäftigten werden Arbeitsrechte praktisch abgeschafft.
Die übergroße Mehrheit der Bekleidungsfabriken sind KMU. Der Schutz von Arbeitsrechten und die mögliche Interessenvertretung durch Gewerkschaften werden drastisch begrenzt. Arbeiter*innen sind praktisch der Willkür der Arbeitgeber*innen ausgesetzt.
Das am 15.03.2022 verabschiedete Gesetz 2136 enthält folgende Bestimmungen:
- die Möglichkeit, die wöchentliche Normalarbeitszeit von 40 auf 60 Stunden anzuheben;
- Beseitigung von Hürden und Streichung zusätzlicher Leistungen für die Arbeit an Feiertagen, Wochenenden und im Urlaub;
- Frauen ‚dürfen‘ wieder in körperlich schweren Arbeitsplätzen arbeiten, was bislang verboten war;
- Arbeitsverträgen müssen nicht mehr schriftlich abgefasst sein;
- Grenzen für befristete Arbeitsverhältnisse und Probezeiten wurden abgeschafft;
- Arbeitgeber können einseitig Beschäftigte versetzen, Bedingungen des Arbeitsvertrags ändern, den gesamten Arbeitsvertrag selbst bei Krankheit oder Urlaub aussetzen oder kündigen, ohne dass Beschäftigte zustimmen müssen.
Das am 18.07.2022 verabschiedete Gesetz 2421 enthält die folgende Bestimmung:
- Arbeitgeber können sogenannte Null-Stunden-Verträge mit beliebigen vertraglichen Bestimmungen abschließen und sich so eine flexible Reserve schaffen.
- Die Beschäftigten werden aller Voraussicht nach unter den aktuellen Bedingungen tiefer wirtschaftlicher und sozialer Krisen diese Vertragsbedingungen akzeptieren, da sie auf ein Einkommen angewiesen sind.
Das am 19.07.2022 verabschiedete Gesetz 2434 enthält die folgenden Bestimmungen:
- In Betrieben mit weniger als 250 Beschäftigten kann grundlos entlassen werden. Entlassene erhalten eine geringfügige Entschädigung. Damit werden für Klein- und Mittelbetriebe Entlassungen drastisch vereinfacht.
- Auch in allen anderen Betrieben wird es einfacher zu entlassen.
Diese Gesetze untergraben die Rechte der Arbeiter*innen in der Ukraine. Das Kriegsrecht hat Streiks und Proteste verboten und schränkt damit die Rechte von Arbeiter*innen-Organisationen stark ein, sich zu wehren. Die Gesetze wurden bereits als Strafmaßnahmen gegen Gewerkschafter*innen genutzt und Gewerkschaftseigentum wurde enteignet.
Daher fordern wir die Marken dringend auf,
- sicherzustellen, dass sie keine Schwächung des Arbeitsnehmerschutzes, die gegen die IAO-Normen verstößt, unterstützen oder fördern. V. a. darf es keine Verlängerung der Arbeitszeit und keinen Abbau von Arbeitnehmerrechten gegenüber ILO-Normen geben.
- dafür zu sorgen, dass bestehende Bedingungen beibehalten werden, die den IAO-Normen und den Verhaltenskodizes der Marken selbst entsprechen, und dass Arbeitsrechte (einschließlich der Höchstarbeitszeit) ungeachtet des Abbaus der Arbeitsrechte in der
Ukraine nicht verringert werden. - sicherzustellen, dass Beschäftigte, die sich an friedlichen Protesten oder Aktivitäten im Rahmen der Vereinigungsfreiheit beteiligen, vor willkürlicher Inhaftierung unter dem Kriegsrecht geschützt werden.
- sicherzustellen, dass die Löhne den Anstieg der Lebenshaltungskosten insbesondere für Lebensmittel und Wohnraum kompensieren.
- sich zu einer nachhaltigen Auftragsvergabe und langfristigen Beziehungen mit ukrainischen Lieferanten zu verpflichten, um die Auswirkungen herrschender Einkaufspraktiken zu verringern.
Weitere Informationen:
- Solidaritätserklärung mit den Bekleidungsarbeiter*innen in der Ukraine
- Verantwortung deutscher Unternehmen in der Ukraine ist gefragt
- Länderprofil Ukraine
- Ausbeutung Made in Europe
- Erklärung des IGB
- Erklärung der Bildungsinternationale
Beitragsbild: Fabrik in der Ukraine ©Yevgenia Belorusets