von Diana Sanabria
2016 veröffentlichte die Bundesregierung den Nationalen Aktionsplan (NAP, pdf) zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP, pdf). Darin vorgesehen war ein außergerichtlicher Beschwerdemechanismus bei Menschenrechtsverletzungen: Die Deutsche Nationale Kontaktstelle (NKS). Um wirksam zu sein, müsste die NKS legitim, zugänglich, berechenbar, ausgewogen, transparent, rechte-kompatibel und eine Quelle des kontinuierlichen Lernens sein.
Treffen diese Wirksamkeitskriterien auf die deutsche NKS zu? Und kann man die NKS als wirksames Instrument zur Bekämpfung unternehmensbezogener Menschenrechtsverletzungen betrachten?
Die Wirksamkeitskriterien für die deutsche NKS
Das erste Element bei der Beurteilung der Wirksamkeit außergerichtlicher Beschwerdemechanismen ist die Legitimität. Legitim zu sein bedeutet für Beschwerdemechanismen, das Vertrauen der Stakeholdergruppen, für die sie vorgesehen sind, zu ermöglichen, und rechenschaftspflichtig im Sinne einer fairen Abwicklung von Beschwerdeverfahren zu sein (UNGP 31 (a)). Institutionelle Unabhängigkeit ist ideal, um Vertrauen in einen Raum zu schaffen, der frei von möglicher politischer Einflussnahme ist (s. z.B. OECD Watch 2019, S. 4 f.; ECCHR 2013, S. 7, pdf). Die deutsche NKS ist im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz angesiedelt, wie die meisten NKS, aber im Gegensatz z.B. zur niederländischen NKS, die eine unabhängige Organisation ist. In dieser Hinsicht würde eine unabhängige deutsche NKS dazu dienen, ihre Legitimität zu stärken.
Zweitens erfordert die Zugänglichkeit, dass die NKS allen Stakeholdergruppen, für die sie vorgesehen ist, bekannt ist und dass sie „denjenigen, die im Hinblick auf den Zugang zu ihnen unter Umständen vor besonderen Hindernissen stehen, ausreichende Unterstützung gewährleistet (UNGP 31 (b)). Die Zugänglichkeit ist eine Herausforderung für alle NKS. Eines der Ergebnisse (2.2) des Peer Reviews der deutschen NKS im Jahr 2017 war, dass die Bekanntheit der NKS in Ländern, in denen deutsche Unternehmen tätig sind, generell gering ist. In der Regel handelt es sich bei den Beschwerdeführer*innen um NGOs mit Sitz in Deutschland oder Europa, die sich für oder mit ihren Partner*innen im globalen Süden einsetzen. Ohne eine Partnerschaft mit deutschen NGOs ist eine Beschwerde herausfordernd. Maßnahmen, die die Bekanntheit der NKS steigern, sind der Schlüssel zur Verbesserung ihrer Zugänglichkeit. Eine der Maßnahmen (2.2, pdf), die nach dem Peer Review ergriffen wurde, war die Intensivierung und Institutionalisierung des Bekanntmachens der deutschen NKS mit Botschaftspersonal. Noch besser wäre das Bekanntmachen durch und in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, NGOs und Wirtschaftsverbänden in Ländern, in denen deutsche Unternehmen tätig sind.
Was die Berechenbarkeit der NKS betrifft, sollte die NKS ein klares, bekanntes Verfahren mit einem vorhersehbaren zeitlichen Rahmen für jede Verfahrensstufe bieten, ebenso wie klare Aussagen zu den verfügbaren Arten von Abläufen und Ergebnissen und Mitteln zur Überwachung der Umsetzung (UNGP 31 (c)). Das 2019 aktualisierte Verfahren (pdf) der NKS ist bekannt. Die NKS war allerdings in der Vergangenheit nicht immer berechenbar. So wurde beispielsweise die im alten Leitfaden vorgesehene Bearbeitungszeit um sechs Monate ohne bekannten Grund überschritten (ECCHR 2015, S. 9 f., pdf). Auch wenn die Unberechenbarkeit eine Ausnahme bleibt, trägt sie dazu bei, das Vertrauen der Stakeholder in die NKS zu erschüttern. Vertrauen, das für die Legitimität der NKS zentral ist, vgl, UNGP 31 (a).
Gemäß dem UNGP 31 (d) sollte die NKS ausgewogen sein. Die NKS soll bestrebt sein, „sicherzustellen, dass die Geschädigten vertretbaren Zugang zu den Quellen für Informationen, Beratung und Fachwissen haben, die sie benötigen, um an einem Beschwerdeverfahren auf faire, informierte und respektvolle Weise teilnehmen zu können“. Die deutsche NKS scheint die Bedingungen zu bieten, um im Sinne des UNGP gerecht zu sein, oder zumindest gibt es keine veröffentlichten Beschwerden zu diesem Kriterium. Das ist beim nächsten Wirksamkeitskriterium, nämlich der Transparenz anders.
Eine NKS ist transparent, wenn sie es schafft, die Parteien eines Beschwerdeverfahrens laufend über dessen Fortgang zu informieren und genügend Informationen über die Leistung des Beschwerdemechanismus bereit zu stellen, um Vertrauen in seine Wirksamkeit zu bilden und etwaigen öffentlichen Interessen Rechnung zu tragen (UNGP 31 (e)). Die NKS berichtet dem Bundestag jährlich über ihre Tätigkeit. Die Berichte enthalten weder Informationen, die von den am Prozess beteiligten Stakeholder verifiziert werden können, noch Informationen darüber, wie die Entscheidungen über Beschwerden getroffen wurden, beispielsweise wie die OECD-Leitsätze angewendet wurden (DIMR 2019, S. 120). Das 2017 geführte Peer Review stellte ein Missverhältnis zwischen Transparenz und Vertraulichkeit fest, in dem die Vertraulichkeit bevorzugt wird. Der neue Verfahrensleitfaden (2019, pdf) und der letzte Bericht (2021, pdf) der NKS an den Bundestag stellen allerdings keine wesentliche Verbesserung der Transparenz dar. Als positive Entwicklung hat die NKS jedoch ihre Website verbessert, so dass die Öffentlichkeit Zugang zu Informationen über die Zulässigkeit oder begründete Unzulässigkeit von Beschwerden hat.
Die NKS sollte außerdem rechte-kompatibel sein, indem sie sicherstellt, „dass die Ergebnisse und Abhilfen mit international anerkannten Menschenrechten in Einklang stehen“ (UNGP 31 (f)). Die Vereinbarungen und Empfehlungen, die in der NKS stattfinden, sollten im Einklang mit den international anerkannten Menschenrechten stehen. Der Beschwerdemechanismus bei der NKS führt jedoch selten zu irgendeiner Form von Abhilfe (OECD Watch 2019, S. 1, pdf) – siehe z.B. den Jahresbericht (pdf) zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen 2020. Wenn das Verfahren bei der NKS überhaupt zu einem Ergebnis kommt, handelt es sich um eine Empfehlung an das Unternehmen – nicht um einen Kompromiss über Abhilfemaßnahmen – oder in einem besseren Fall um die Anerkennung von Fehlverhalten seitens des Unternehmens. Diese Situation ist bei der deutschen NKS nicht anders als im Durchschnitt.
Das letzte Wirksamkeitskriterium besteht darin, eine Quelle des kontinuierlichen Lernens zu sein, indem die NKS als Beschwerdemechanismus auf sachdienliche Maßnahmen zurückgreift, „um Lehren zur Verbesserung des Mechanismus und zur Verhütung künftiger Missstände und Schäden zu ziehen“ (UNGP 31 (g)). Die deutsche NKS hat sich in diesem Punkt verbessert. Statt den Fall nur mit einer Erklärung über eine Einigung oder Nichteinigung abzuschließen, veröffentlicht die NKS nun Berichte zur Umsetzung ihrer Empfehlungen im Einzelfall. Ein Beispiel für diese Praxis ist der Fall von TÜV Rheinland, dessen indische Tochtergesellschaft die Textilfabrik Rana Plaza Monate vor ihrem Einsturz auditierte – beim Einsturz kamen mehr als 1.130 Menschen ums Leben und mehr als 2.500 wurden verletzt. In diesem Fall, der mit einer Nichteinigung endete, argumentierte die NKS in ihren Empfehlungen (pdf), dass die Parteien eingehend darüber diskutieren sollten, wie Sozialaudits durchgeführt und fortentwickelt werden können. Eineinhalb Jahre später veröffentlichte die NKS einen Bericht (pdf) über die Nachverfolgung der Empfehlungen. Diese Maßnahme kann der NKS dazu dienen, eine bereichernde Quelle des kontinuierlichen Lernens zu werden.
Fazit
Angesichts der oben genannten Schwächen der deutschen NKS gegenüber den Wirksamkeitskriterien des UNGP 31 für außergerichtliche Beschwerdemechanismen wäre es nicht vernünftig zu erwarten, dass die NKS Betroffenen von unternehmensbezogenen Menschenrechtsverletzungen wirksame Abhilfe bietet, insbesondere wenn sich die NKS ausschließlich als Mediatorin versteht. Aus Sicht der Kampagne für Saubere Kleidung, deren Mitglieder in NKS-Verfahren häufig als Beschwerdeführer auftreten, sollte die NKS die Wächterin der OECD-Leitsätze sein. Sie sollte eigene Bewertungen im Hinblick auf die Einhaltung der Sorgfaltspflichten multinationaler Unternehmen gemäß den OECD-Leitsätzen vornehmen. So könnten Empfehlungen, die auf dieser Art von Bewertung basieren, eine wirksame Abhilfe darstellen.
Abschließend ist hervorzuheben, dass deutsche Unternehmen ab 2023, wenn das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft tritt, sicherlich daran interessiert sein werden, ihren Sorgfaltspflichten nachzukommen. In diesem bevorstehenden Szenario können Unternehmen mit Sanktionen rechnen, wenn sie ihren Sorgfaltspflichten nach dem LkSG nicht nachkommen. Das LkSG regt Unternehmen an, den Empfehlungen der NKS, einschließlich Empfehlungen zu wirksamen Abhilfemaßnahmen, nachzukommen und sich konstruktiv an NKS-Verfahren zu beteiligen, um unzufriedene Beschwerdeführer*innen bei der NKS zu vermeiden, die Verwaltungsverfahren einleiten könnten – was folglich zu Bußgeldern führen könnte. Europäische und globale Regulierungen der Sorgfaltspflicht würden den Anreiz ebenfalls stärken.
Über die Autorin: Diana Sanabria, LL.M. (Konstanz), ist Juristin und arbeitet als Referentin für Weltwirtschaft am Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit. Außerdem ist sie Vorstandsmitglied der Kampagne für Saubere Kleidung e.V. (Clean Clothes Campaign Germany)